Absturz ins Bodenlose oder doch in ein Auffangnetz – beim FC Wacker Innsbruck glaubt derzeit nur Präsident Kevin Radi (33) an einen Neuanfang. Die Achterbahnfahrt geht weiter.
Innsbruck – „Am Donnerstag oder Freitag wollen wir ein paar Dinge klarstellen.“ Also sprach Wacker-Präsident Kevin Radi gestern, nachdem der TT-Bericht über den Spieler-Antrag auf Insolvenz neuerlich sein Narrativ von der gesicherten Vereinszukunft in Frage stellte. Der Innsbrucker: keineswegs der Haupt-, aber zumindest doch der Letztverantwortliche einer Misere, die sich seit dem unglücklichen Ein- und Ausstieg zweier Investoren (2020/2021) abzeichnet. Hochmut begleitet den FC Wacker, seit es 2002 (FC-Tirol-Crash) zum Fall kam. Nicht anders im Jahr 2022, da neuerlich die Insolvenz droht.
„Es geht um den Verein, den Nachwuchs, die Damen. Ich gehe nach wie vor von keiner Insolvenz aus“, machte Kevin Radi auch gestern keinen Hehl aus seiner Überzeugung: dass das seit 15. Februar fällige Investorgeld von 3 Mio. Euro samt weiterer 5 Mio. für die kommende Saison bald eintrifft. Täglich wartete man auf Vollzugsmeldungen, irgendwann glaubten auch die Gläubiger nichts mehr. Das Konstrukt bröckelt – oder wie der 33-Jährige gestand: „Ohne Moos nix los.“
Der Einstieg Radis beim FC Wacker war erst im Sommer geplant, bereuen würde er diesen nicht: „Hätten wir im Februar nicht gehandelt, gäbe es den Verein nicht mehr.“ Nun geht es um Stichtage:
Am 3. Juni wird die Einladung zu einer von den Fans angestrengten Generalversammlung ausgeschickt – Radi soll dabei abgewählt werden.
Am 6. Juni müssen Kampfmannschaften im Tiroler Fußballverband genannt werden. Noch weiß beim FC Wacker niemand, wo und wie man spielt.
Am 7. Juni endet die Einspruchsfrist einer Mahnklage der Olympiaworld, die auf über 300.000 Euro Miete wartet. Bereits abgelaufen: der zeitliche Rahmen von Gesundheitskasse (ÖGK) und Finanzamt.
„Das Szenario erinnert mich an 2002“, erzählt Ex-FC-Tirol-Spieler Oliver Prudlo, der nun als Gewerkschafter den Konkursantrag der Wacker-Spieler entgegennahm. Die einen lösten ihre Verträge bereits auf, die Kontrakte der anderen waren nur für die Bundesliga bindend. Und diejenigen, die sich noch vor Wochen einen Neustart mit dem Verein vorstellen konnten, wandten sich zuletzt desillusioniert Transfergesprächen mit anderen Vereinen zu. Von der Politik darf sich Wacker-Präsident Kevin Radi – Landtagswahl 2023 hin oder her – nichts erwarten. Aber der glaubt weiter daran, mit dem im Urlaub befindlichen Sportdirektor/Trainer Michael Oenning in die Zukunft zu gehen: „Das ist der Plan.“
Seit 20 Jahren klaffen beim FC Wacker Wunschdenken und Realität auseinander, der Präsidenten-Hoffnung auf Rettung begegnen viele mit einem Goethe-Zitat: „Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“
Chronologie des FC Wacker 2002–2020: Von der Pleite bis zur möglichen nächsten Pleite
Sommer 2002: Dem regierenden Meister FC Tirol Innsbruck wird wegen grober finanzieller Verfehlungen die Spielgenehmigung für die folgende Saison entzogen, mehr als 50 Millionen Euro Konkursforderungen werden nach Angaben des Kreditschutzverbandes in der Folge angemeldet.
Juli 2002: Der Club wird aufgelöst und unter dem alten Namen Wacker Innsbruck neu gegründet. Als Spielgemeinschaft mit der WSG Wattens startet man vorerst in der Regionalliga (3. Liga).
8. Juni 2003: 14.000 Fans sehen das Relegationshinspiel zwischen der SPG Wattens/Wacker und Schwechat im Tivoli. Nach einem 0:0-Heimremis wird der Aufstieg mit einem 3:2-Sieg auswärts bejubelt.
Frühjahr 2004: Aufstieg (1. Liga)
Frühjahr 2008: Pünktlich vor der EURO erfolgt der Abstieg in Liga 2.
Frühjahr 2010: Aufstieg (1. Liga)
Mai 2013: Roli Kirchler wird als neuer Trainer präsentiert. Durch das „Wunder von Wolfsberg“ (3:2-Sieg nach 0:2-Rückstand) wird der Abstieg in letzter Sekunde verhindert.
Frühjahr 2014: Mit acht Punkten Rückstand auf den Vorletzten Admira ist der Abstieg fixiert.
29. Mai 2015: In der letzten Runde der Sky Go Erste Liga werden die Stadiontore für 13.700 Fans bei freiem Eintritt geöffnet, um den Wacker zum 3:0 gegen Horn und zum Klassenerhalt zu treiben.
Frühjahr 2018: Aufstieg (1. Liga)
Frühjahr 2019: Abstieg (2. Liga)
19. Jänner 2020: Bei einer Generalversammlung des FC Wacker stimmen die Mitglieder mit klarer Mehrheit für jene Statutenänderung, die den Einstieg eines potenten Investors ermöglichen soll.
15. Mai 2020: Der Verein gibt eine unerwartete Trainerrochade bekannt: Daniel Bierofka folgt auf Thomas Grumser, der mit dem Fohlen-Team lange Zeit auf Platz drei gelegen war. Ein Vorzeichen für den Investoreinstieg von Matthias Siems.
10. Mai 2021: Was mit viel Elan begonnen wurde, mündet offensichtlich in einen Rosenkrieg. Geldgeber Matthias Siems wollte mehr Einflussnahme, setzte nach Meinung des Vereins die Daumenschrauben an. Das als Langzeitprojekt apostrophierte Vorhaben („zumindest acht bis zehn Jahre“) scheint sich zu zerschlagen. Nach knapp einem Jahr und kolportierten 2 Millionen Euro Investment ist die Ära Siems Geschichte.
17. Juli 2021: Der Verein scheint bei der Investorensuche fündig geworden zu sein. Der Neue soll der Russe Michail Ponomarev sein.
17. Jänner 2022: Und wieder ein Neuanfang. Der Verein musste in den vergangenen Monaten immer wieder mit Zahlungsrückständen kämpfen, weil auch Ponomarev wie sein Vorgänger die Daumenschrauben angezogen haben soll.
1. März 2022: Der Innsbrucker Immobilien-Experte Kevin Radi wird zum neuen Präsidenten gewählt, der alte Vorstand muss gehen. Auf die vertraglich zugesicherte Millionen-Finanzspritze wartet man seither. Zweimal musste das neue Vorstandsteam bereits Gehälter vorstrecken.
Mai 2022: Keine Bundesliga-Zulassung, die Insolvenz droht, Spieler wandern ab. Abstieg in den Tiroler Amateurfußball (Leistungsstufe derzeit noch ungewiss).