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„Man muss passende Antworten finden“

Die Ereignisse des letzten Samstags in der Innsbrucker Innenstadt sind immer noch Gesprächsthema, sowohl in den Medien als auch in diversen Fußballforen. Das tivoli12 magazin nimmt dies zum Anlass, um sich in den nächsten Tagen mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Wir lassen Experten zu Wort kommen. Nach Vereinssprecher Florian Sitz folgt nun Armin Weber, profunder Kenner von Fußballfankulturen, Sozialarbeiter und Bewährungshelfer; er beschäftigt sich seit Jahren mit Gewalt im Fußball.

 

Aus aktuellem Anlass muss man sich wieder mit Gewalt im Fussball beschäftigen. Wie ist dieses Phänomen beschreibbar?

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Es gibt nicht eine Beschreibungsweise, sondern es gibt viele. Eine Theorie ist, dass der Fußball über Jahrzehnte hinweg ein geeignetes Medium für viele Menschen unterschiedlichster Schichten ist, Aggressionen, Emotionen auf verschiedenste Art und Weise auszuleben. Da gibt es den Arzt, der auf der Osttribüne sitzt und mit einem Bier und einer Wurst in der Hand den Schiedsrichter als Arschloch beschimpft. Da gibt es viele junge aktive Fans, die sich die Seele aus dem Leib schreien und sehr kreative Unterstützungsmöglichkeiten gefunden haben, um sich auszuleben und Freizeit zu genießen. Es gibt einige Fans, die ihre Freizeitgestaltung dahingehend forcieren, dass sie auch ihre Emotionen mit Gewalt ausleben.

Das hat im Fußball vor allem in England und Italien in den frühen 60er Jahren mit gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Fangruppierungen begonnen. Es ist also kein neues Phänomen, sondern gibt es schon relativ lange. Die Erklärungsmöglichkeiten sind vielfältig. Mir gefällt der Erklärungsansatz, dass man den Alltagsfrust und die Alltagssorgen einfach im Stadion ausleben kann, ganz gut. Das mache ich  genauso wie viele andere, ABER es gibt natürlich unterschiedliche Ausprägungen.

Die Medien suggerierten in unserem Fall eine Art Frustbewältigung, eine Kurzschlussreaktion der Grazer Stunden nach dem Spiel.

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Es geht da nicht um Kurzschlussreaktionen. Es geht einfach darum, sich mit der gegnerischen Fangruppierung zu messen. Das ist anscheinend leider nur mit Gewalt möglich. Das muss man vorerst so hinstellen. Dann muss man sich anschauen, ob das eine adäquate Form ist seine Aggressionen, seine Emotionen auszuleben oder ist das eben gesellschaftlich nicht erwünscht. Dann muss man darauf die passenden Antworten finden.

 

Die Antworten der Gesellschaft und der Staatsmacht sind eindeutig. Natürlich ist das nicht erwünscht. Warum reicht das nicht?

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Naja, da gibt es auch wieder die unterschiedlichsten Ansichtsweisen. Man ist eigentlich in Österreich gerade im Strafrecht, was Repression betrifft, relativ liberal geworden. Vor allem jugendlichen Tätern, die sich nicht so verhalten, wie das die Gesellschaft gerne hätte, bietet man mehrere Chancen und Angebote, bis man sie wegsperrt. Im Fußball ist das leider gänzlich anders. Da werden immer nur Stadionverbote sowie Anzeigen gefordert. Man will die Leute wegsperren. Man sieht sie nicht als Teil des Fußballs, sondern man negiert das Problem ganz einfach, indem man sie als "keine wahren Fans" bezeichnet, die man beim Fußball nicht haben will. Damit leugnet man eine gesellschaftliche Realität.

 

In deiner Diplomarbeit hast Du dich mit Sozialarbeit im Fußball beschäftigt und dir da die so genannten Fanprojekte in Deutschland näher angesehen.

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Die Idee Sozialarbeit mit Problemgruppen, wenn man so sagen will, ist ja nicht neu. Das ist eine Antwort darauf, einen anderen Umgang mit Gruppen zu finden, die gesellschaftlich wenig bzw. gar nicht anerkannt werden. In Deutschland hat das Mitte der 80er Jahre mit losen Versuchen von Streetwork begonnen – Streetwork ist im übrigens ein sehr anerkanntes Mittel, um mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu arbeiten – Aus diesen anfänglichen Versuchen Fußballfans zu begegnen, sind dann langsam diese Fanprojekte in Deutschland entstanden. Seit Anfang der 90er Jahre sind sie in Deutschland rechtlich verankert. Es gibt einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass man Problemphänomenen nicht nur mit Polizei und Knüppel entgegen treten kann, sondern dass es da mehr braucht. Dementsprechend gibt es in Deutschland in über 43 Standorten Fanprojekte, das heißt Sozialarbeit mit Fußballfans. In Deutschland gibt es klarerweise mehr Fans und der Fußball ist vom Stellenwert höher anzusiedeln.

 

Das ist für mich die Erklärung, warum Österreich nicht schon lange nachgezogen hat. Man sieht in Österreich sind die Zuschauerzahlen relativ stabil und es ist der Sommersport Nummer 1, der die meisten Massen anzieht. Dementsprechend ist es nur schwer nachvollziehbar, dass man nicht zumindest 10 Jahre nach Deutschland auch in Österreich angefangen hätte, solche Ideen umzusetzen. In Österreich gibt es zwar "Szenekundige Beamten", die aber nach wie vor unter dem Legalitätsprinzip der Polizei stehen, d.h. sie müssen alles anzeigen. So Vertrauen herzustellen bzw. in Beziehung mit Gruppen zu treten, ist natürlich nahezu unmöglich. Das war der Hintergrund in Deutschland. Ein alternativer Umgang Angebote zu setzen, um präventiv so viele Leute wie möglich zu erreichen. Das ist auch unser Ziel in Innsbruck: Präventiv so viele junge Menschen zu erreichen. Sie beim Ausleben ihrer Fankultur zu unterstützen, aber auch klar darauf hinweisen, dass die Folgen von Gewaltausübung negativ sind. Nicht nur für die Gesellschaft in Form von Sachbeschädigungen oder ähnlichem negativ, sondern die sind vor allem auch für die Menschen selber, die die Gewalt ausüben, negativ und können Existenzen längerfristig gefährden.

Die Erfahrungen aus Deutschland haben gezeigt, dass es wichtig ist so ein Projekt relativ unabhängig vom Verein zu gestalten. Warum ist das so?

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Das hat den Hintergrund, dass auch der Verein als Teil der Bundesliga natürlich Vorschriften unterliegt und der Verein teilweise einfach regiede Maßnahmen setzen muss, weil er kaum andere Möglichkeiten hat. Der Sinn von Sozialarbeit im Fußball ist eben keine, wie auch immer geartete Repression einzusetzen, ganz im Gegenteil. Der Sozialarbeiter begegnet den Fans auf  Augenhöhe, ohne ihnen mit irgendwas zu drohen, sondern ganz im Gegenteil. Er ist als Ansprechperson da. Das ist eigentlich der Hauptunterschied, dass man in der Sozialarbeit einfach ohne Autoritäten auskommen kann. Das ist das "Neue" im Umgang mit Fußballfans. Das ist unserer Meinung nach auch das Wichtige, um unabhängig auf gleicher Augenhöhe als Partner auftreten zu können und nicht mit irgendwelchen Konsequenzen im Hintergrund drohen.

Wie schaut die Finanzierung in Deutschland aus?

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In Deutschland ist das eben auf einem sehr breiten gesellschaftlichen Konsens aufgebaut. D.h., dass sich sehr viele Institutionen zur Sozialarbeit mit Fußballfans bekennen. Dementsprechend gibt es in Deutschland eine Drittelfinanzierung. Außer in Baden-Würtemberg wird diese auch überall durchgeführt. 1/3 übernimmt die Bundesliga bzw. die Vereine, 1/3 übernimmt das Bundesland und das letzte Drittel übernimmt die jeweilige Stadt. Das funktioniert bis auf, meines Wissens nach, Baden-Württemberg – wo sich das Land dieser Verantwortung nicht stellen will – relativ gut.

Auch in Italien und der Schweiz gibt es ähnliche Projekte.

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Also über Italien wüsste ich nichts von wirklich ernsthaften, professionellen Projekten in dieser Richtung. Da lasse ich mich gerne eines Besseren belehren und will mir das auch ansehen, das ist immerhin das Mutterland der Ultrakultur. In der Schweiz gibt es inzwischen an etwa vier Standorten Fanprojekte. Es zeigt auch, dass die Schweiz als kleines Land mit vergleichbaren Zuschauerzahlen auch dieses Konzept der Sozialarbeit anerkannt hat und setzt das auch um. Meiner Meinung nach wird es Zeit, dass Österreich nachzieht.
 

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Autor: Christian Hummer

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