Die Ereignisse des letzten Samstags in der Innsbrucker Innenstadt sind immer noch Gesprächsthema, sowohl in den Medien als auch in diversen Fußballforen. Das tivoli12 magazin nimmt dies zum Anlass, um sich in den nächsten Tagen mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Wir lassen Experten zu Wort kommen. Nach Vereinssprecher Florian Sitz folgt nun Armin Weber, profunder Kenner von Fußballfankulturen, Sozialarbeiter und Bewährungshelfer; er beschäftigt sich seit Jahren mit Gewalt im Fußball. In diesem Teil schildert ArminWeber, wie der Status quo in Innsbruck ist und wie Sozialarbeit mit Fußballfans aussieht.
Wie ist der Stand der Dinge so ein Projekt in Innsbruck auf die Beine zu stellen?
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Der Stand der Dinge ist so, dass ein Rohkonzept steht. Die Gedanken sind natürlich schon viel weiter. Es hat Gespräche mit der Stadt Innsbruck gegeben. Vizebürgermeister Gruber ist zumindest von der Idee positiv überrascht und hat Unterstützung zugesagt. Natürlich ist dann immer die Frage, wie konkret die Unterstützung tatsächlich ist. Die Faninitiative Innsbruck ist natürlich der größte Vorantreiber dieses Projekts und wird es auch finanziell unterstützen. Es gab Gespräche mit der Bundesliga, die auch gewillt ist dieses Projekt zu unterstützen. Klar ist, dass es ehrenamtlich sehr, sehr viel Zeit und Mühe kostet, bis man eine gesunde Basis für so eine ernsthafte Sache auf die Beine gestellt hat. Der Status quo ist, dass wir schon einige Finanzierungszusagen haben, wir müssen aber auch in der Faninitiative die Strukturen schaffen, dass wir dieses Projekt dann ernsthaft mit einem/einer professionellen SozialarbeiterIn umsetzen können. Das bedarf sehr viel Kraft und mühevolle Kleinstarbeit.
Wie muss man sich Sozialarbeit bei Fußballfans vorstellen?
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Wir sagen definitiv Sozialarbeit MIT Fußballfans, weil es genau das ist. Man arbeitet mit den Fans zusammen. Man kann sich das so vorstellen: In der Pilotprojektphase wird man nicht über all zu viele Mittel verfügen, das muss man sich auch vor Augen führen. Man wird zuerst die Spieltagsbegleitung forcieren. Also vor Ort sein, auswärts wie zuhause. Den Fans bei diversen Problemen, die auftauchen, in Zusammenarbeit mit dem Verein helfen. In gegebenen Fällen wird man auch intervenieren, wenn es zu Auseinandersetzungen, vor allem mit der Exekutive, kommt. Wo der Sozialarbeiter vermittelnde Rollen einnehmen kann, um gröbere Eskalationen zu vermeiden. Das ist der erste Schritt in eine Richtung, die wir wollen.
In weiterer Folge wird es immer wieder passieren, dass vor allem jugendliche Fußballfans das Neuland des Strafrechts betreten, indem sie Widerstand gegen die Staatsgewalt oder ähnliche Vergehen haben. Da werden sie unterstützt, denn bei Prävention geht es auch darum, dass im Einzelfall ein Abgleiten und ein Zerstören der eigenen Existenz vermieden wird. Es zielt auf die jungen Leute ab, weile diese zum Teil sehr unbedarft sind im Umgang mit der Polizei, unbedarft sind im Umgang mit einem Verwaltungsstrafverfahren usw. Das heißt aber nicht, dass man Rechtsanwalt spielt, sondern das heißt, dass man sie begleitet und ihnen die Konsequenzen vor Augen führt. Die Entscheidung nach wie vor, ob Gewalt angewendet wird oder nicht, muss jede Person für sich selbst treffen. Die kann man ihnen nicht verbieten, aber auch nicht abnehmen.
In diesem Zusammenhang wird häufig von einer Spirale gesprochen. Was ist damit gemeint?
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Dadurch, dass das Strafrecht doch recht liberal ist, funktioniert das meistens so, dass man zwei bis drei Vorstrafen bekommt und irgendwann "sitzen" geht. Aus meiner Berufserfahrung gibt es viele Jugendliche, die die Situation gänzlich falsch einschätzen. Nämlich "mir ist nichts passiert, deshalb kann ich wie zuvor weiter machen". Es ist auch das Ziel, dass man zeigt und erklärt, wie die gesellschaftlichen Antworten auf dieses Phänomen sind. Das dient dem Jugendlichen in Zukunft bessere Entscheidungen zu fällen. Denn an den Rand gedrängte Gruppen und Jugendliche werden sich wehren. Sie werden genau das Gegenteil davon tun, was der Herr Richter, die Polizei oder der Verein will. Das ist auch ein Phänomen. Je mehr man jemanden an den Rand drängt, desto eher antwortet er mit Gewalt.
Was kann man von Sozialarbeit mit Fußballfans erwarten?
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Man kann intensive Auseinandersetzung mit der Lebenswelt der Fußballfans erwarten. D.h., man erlebt mit ihnen dieses Phänomen und akzeptiert zuerst, dass es so ist, wie es ist. Ohne sofort "nein", "böse" und "weg" zu sagen. Das ist der erste Punkt, um überhaupt in Beziehung treten zu können, um auch wirklich ernsthaft und partnerschaftlich arbeiten zu können. Man darf nicht glauben, dass es mit Sozialarbeit mit Fußballfans in einem Jahr keine Ausschreitungen mehr gibt. Das wird so nicht funktionieren. Das funktioniert in Deutschland auch nicht. Das Ziel ist Prävention, d.h. so viele Menschen wie möglich zu erreichen, um eine Alternative zu bieten, für die sich diese Menschen entscheiden können – Gehe ich den Weg des gewalttätigen Fußballfans, wo ich mit den entsprechenden Konsequenzen zu rechnen habe, oder ich gehe einen anderen Weg, bei dem natürlich jeder unterstützt wird. Ziel ist es Gewaltauswüchse zu minimieren. Verhindern kann sie meiner Meinung nach niemand, auch nicht Polizei und Justiz. Das wird nicht funktionieren. Das muss man auch als gesellschaftliche Realität anerkennen. Gewalt wird es immer geben und wird durch keine Maßnahme jemals komplett verhindert werden können.
Werden die Geschehnisse für einen Denkanstoß bei den richtigen Stellen sorgen?
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Ich würde mich freuen, wenn eine ernsthafte Diskussion über das Thema Gewalt und Fußballfans geführt wird und endlich die Rufe nach mehr und längeren Strafen und Wegsperren beendet werden, denn die haben uns noch nie weiter gebracht und werden uns in Zukunft auch nicht weiter bringen. Die Leute sollten etwas differenzierter dieses Phänomen betrachten, um sich dann auch differenziertere Urteile bilden zu können.