Ein Dörby, wie es sein soll
Stell Dir vor: Das Wiener Derby (in diesem Falle „Dörby“) steht an und trotzdem läuft kein Live-Fußball auf ORF1 (auch die Frauen-WM lässt Österreich ja bekanntlich kalt), patrouillieren keine Polizeistaffeln auf den Straßen und fliegen keine weggeworfenen Gratis-Printmedien herum, die die gefühlt 1000. Auflage des Wiener Derbys allgegenwärtig erscheinen lassen. Eine kleines Details ist nämlich diesmal anders: Das „kleine“ Wiener Derby steht an – der Wiener Sportklub trifft auf den First Vienna Football Club. Ein Vorbereitungsspiel aller höchster Güte für alle Fußballgourmets, schließlich trifft mit den blau-gelben Döblingern der älteste Fußballverein Österreichs am ältesten noch bespielten Fußballplatz des Landes auf seinen alten Rivalen: den schwarz-weißen Wiener Sportklub, zu dem seitens der Vienna eine sehr freundschaftliche Rivalität gepflegt wird.
Wacker Innsbruck ist allgegenwärtig
Nicht nur die gelebte Fußballtradition lässt den Innsbruck Gast in Wien erfreut die Augen reiben, auch die Präsenz des Wackergeists. Seitens der Innsbrucker Fans werden seit Jahren freundschaftliche Kontakte zu beiden Seiten des Spielfeldes gepflegt: zu den Vienna-Fans, die sich auf der großen blauen Tribüne eingefunden haben, ebenfalls wie zu den Sportklub-Fans, die sich auf der legendären Friedhofstribüne versammelt haben. Das aufziehende Gewitter im Hintergrund kann die Stimmung hier auch ohne schützendes Dach nicht zerstören. Und wer genau schaut, findet zwischen Antifa-Stickern weitere Innsbrucker Spuren im Stadion: Ein schwarz-grüner Nordpol-Sticker ziert den Zaun genauso wie ein Sticker der Verrückten Köpfe das Eingangsportal.
Dass sich auch einige aus dem Tivoli bekannte Gesichter unters Publikum gemischt haben und ein Gast im Wackerpulli herzlich begrüßt wird, versteht sich ohnehin von selbst. Auch am Feld gibt es Wackeres zu entdecken: Zwar ist Wolfi Mair nicht im Vienna-Einsatz, Neuzugang Matthias Hattenberger zeigt jedoch bei seinem Debüt in Blau-Gelb sein Können und gewinnt bereits in der ersten Spielminute sein erstes Kopfballduell gegen seinen entsprechend angesäuerten Teamkollegen und Abwehrchef Erdzan Beciri. Dass der verhinderte Krone-Fußballer des Jahres dann auch die einzige Verwarnung des Freundschaftsspiels ausfasst, versteht sich ohnehin von selbst.
Der Flair der Traditionsteams begeistert
Der Wackerbezug macht Lust auf mehr, genauso wie das übrige Umfeld: Das gut gefüllte, aber etwas in die Jahre gekommene Dornbacher Stadion glänzt mit einem Spielertunnel direkt durch die Friedhofstribüne. Englischsprachige Dauerchants von beiden Fantribünen (wie etwa das gemeinsame „There’s only one Wiener Dööörby“) ziehen durchs Stadion und vermitteln Gänsehautatmosphäre, Dudelsack-Klänge erklingen von der Vienna-Seite, das traditionelle Schlüssel-Geklimper der Sportklub-Fans ertönt bei Standardsituationen. Dass diese Geräuschkulisse zusammen mit der minutenlangen Versicherung „We’re gonna score in a minute“ Coskun Kayhan beim Anlaufen dermaßen verunsichert, dass dieser einen Elfmeter verschießt, tut der Stimmung keinen Abbruch. Die Sportklub-Fans legen mit „Pick eam an eini“ nach und werden doch noch belohnt: Ingomar Szabo gleicht zehn Minuten vor Schluss die frühe Führung der Döblinger durch den Champions-League-erfahrenen Marjan Markovic noch aus. Das friendly Wiener Dörby endet also standesgemäß und fair mit 1:1 – wie die freundschaftliche gesellige blue-gelb-schwarz-weiße Bierrunde der 1424 Zuschauer nach Abpfiff endet, ist dem Autor am Tag danach leider unbekannt. Das einzig wahre Wiener Dörby ist trotzdem (oder gerade deshalb) für jeden Liebhaber des gepflegten österreichischen Fußballs eine Reise nach Dornbach allemal wert.