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Tore schießen reicht nicht

 

Im Rahmen der Ausstellung “Tatort Stadion” in Innsbruck stattete der momentan in Schweden wirkende gebürtige Innsbrucker Autor Gabriel Kuhn seiner Heimat einen Besuch ab und sprach im Rahmen eines gut dreißigminütigen Vortrags über die Themen Diskriminierung und soziale Verantwortung im Fußball. Gabriel Kuhn, der als Auswahlspieler und Zweitliga-Halbprofi des FC Kufstein die sportliche Seite des Fußballs genau kennt, glänzte neben teils breitem Tirolerisch mit einer ebenso durchdachten wie kritischen Analyse der zahlreichen Verbindungen von Fußball und Gesellschaft.

Der Mythos vom unpolitischen Fußball

Politik ist mehr als pure Parteipolitik, sondern umfasst die gesamte Organisation des menschlichen Zusammenlebens. Allein durch die auftretenden Menschenmengen ist der heutige Fußball also per se schon nicht unpolitisch. Fußball bietet gesellschaftliche Netzwerke, dient als Statussymbol für Städte, Länder und ganze Staaten, wie zum Beispiel das markante Beispiel des FC Austria Kärnten verdeutlicht. Genauso wie Spieler und Vereine als Medienfiguren eine Plattform für den Transport politischer Messages bieten, fungiert das Stadion als Treffpunkt und Ort der Kommunikation. Dass die Fan- und Ultrakultur mit ihren Werten der freien Rede und Protesten etwa gegen das Pyrotechnikgesetz in einer breiten Masse politische Statements setzt, verdeutlicht die gesellschaftliche Signifikanz des Fußballs. Historisch diente Fußballkultur auch teilweise als letztmögliches Sprachrohr, wie etwa für die Unabhängigkeitsbewegungen von Katalonien und Baskenland unter dem Franco-Regime.

Inhalte erobern die Stadien

Der früheren reinen Spaßkultur auf den Tribünen tritt inzwischen eine Kultur der Political Correctness entgegen. Diese lebt zwar weiterhin Emotion und Leidenschaft aus, schafft dies jedoch auch ohne Beleidigungen und Festhalten an alten Vorurteilen. Dieses Phänomen trägt vermutlich zum aktuellen Zuschauerboom in den Fußballstadien beträchtlich bei, wird jedoch generell gerne unter den Tisch gekehrt – wohl um aktuelle Machtverhältnisse nicht in Frage zu stellen. Angesichts der starken Medienpräsenz wäre es für Vereine und Verbände ein Leichtes, klassischen Ritualen wie dem Antirassismustag durch Zusammenarbeit mit Fankampagnen zu mehr Inhalten zu verhelfen. Andererseits muss für derartige Verflechtungen zunächst die Glaubwürdigkeit der transportierten Inhalte klar sein: Äußerungen wie kürzlich jene von FIFA-Präsident Sepp Blatter lassen kaum auf ein Problembewusstsein hinsichtlich Rassismus im Fußball schließen. Ein Vorbild könnte eher der Ex-Rapidler Jan-Age Fjörtoft sein, der im Anschluss an ein Spiel die eigenen Fans ungefragt für rassistische Äußerungen kritisierte.

Auf einem guten Weg

Österreichische und deutsche Fans haben hinsichtlich der Bewusstseinbildung ihrer zentralen Rolle im Fußball eine engagierte Vorreiterrolle übernommen. Die gelebte linke, alternative, progressive Fankultur erkennt den Fußball als Spiegel der Gesellschaft und lebt Egalität auf der Tribüne vor. Auch wenn die mediale Aufarbeitung von Fanthemen großteils völlig fehlt, etabliert sich der Fußball als Transporter einer neuen offenen Kultur. Dass im Hintergrund das Spiel als völkerverbindendes Element steht, erleichtert den Zugang und verbindet über Völker-, Sprach- und Klassengrenzen hinweg. Selten wird die Frage nach einer formalen Ausbildung so selten gestellt, wie in und rund um den Fußball. Direkte Interaktion und Diskussion ersetzen hierarchische Strukturen und führen zu einer internationalen Horizonterweiterung.

Als weiterführende Literatur zu den angeschnittenen Themenkreisen empfiehlt die tivoli12-Redaktion das bei PM Press kürzlich erschienene Buch “Soccer versus the State” des Vortragenden Gabriel Kuhn.

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Autor: Julian Fuchs

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