„Es braucht eine Entspannung der Situation“
Das tivoli12 magazin besuchte Fanarbeiter Mag. (FH) Armin Weber in seinem neuen Büro und ließ die Ereignisse vom vergangenen Samstag in Salzburg noch einmal revue passieren. Der diplomierte Sozialarbeiter gibt Auskunft über die Geschehnisse und das Spannungsfeld zwischen organisierter Fanszene und der Polizei.
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Das heutige Interview führen wir mit Armin Weber von der Fanarbeit Innsbruck. Ich habe mir nicht gedacht, dass wir uns so schnell wiedersehen müssen. Es geht natürlich um die Ereignisse in Salzburg. Wie kann die Fanarbeit auf solche Situationen einwirken?
Armin Weber: Bei solchen Ereignissen ist es sehr schwierig, direkt und vor Ort einzugreifen. Mir ist zunächst einmal wichtig, noch einmal festzuhalten, dass die Fanarbeit Innsbruck einen kritisch, parteilichen Ansatz verfolgt, das heißt, man ist für die Fans da und unterstützt sie in ihren Anliegen. Gleichwohl hinterfragt man auch das eigene Fanverhalten und konfrontiert die Fans mit eigenem Fehlverhalten. Das ist der Ansatz von Sozialarbeit mit Fußballfans. In Salzburg sind so viele Dinge passiert, dass man an und für sich als Sozialarbeiter in der unmittelbaren Situation gar nicht mehr eingreifen kann, weil dort ganz einfach die Polizei ihres Amtes waltet. Wenn man zum Beispiel versucht, schlichtend einzugreifen, geht es dann relativ schnell, dass man wegen Behinderung einer Amtshandlung angezeigt wird. Das heißt, da ist unglaublich viel Fingerspitzengefühl gefragt und man hat in Salzburg gesehen: Wenn einmal der Einsatz läuft, kann man fast gar nichts mehr tun. Das, was wir tun können und tun wollen, ist, alle Fans, die sich ungerecht behandelt gefühlt haben und sich dagegen zur Wehr setzen wollen,können sich bei mir melden . Dann schauen und überprüfen wir, ob und wie man rechtliche Schritte gegen diverse Vorgehensweise der Polizei einleiten kann.
Gehen wir die Vorfälle von Salzburg chronologisch an.
Armin Weber: Ich war ungefähr eine Stunde vor Spielbeginn vor dem Auswärtssektor. Es war eigentlich relativ ruhig und es waren schon relativ viele Leute im Stadion, was uns sehr gefreut hat. Eigentlich war alles angerichtet für ein tolles Fußballfest und vor allem aus Innsbrucker Sicht: So viele Innsbruck-Fans waren schon sehr, sehr lange nicht mehr dabei. Die Vorfreude war groß, und die Meldung war die – nichts Außergewöhnliches an sich – dass die sieben bis acht Fan-Busse auf der Raststation Walserberg angehalten werden und dann zum Stadion geleitet werden. So ist es auch üblich. Vor dem Stadion befindet sich ein sehr großer Busparkplatz, wo man geordnet aussteigen kann und von dort zum Auswärtssektor gelangt. Nach einigem Warten wurden die Meldungen immer unterschiedlicher. Es hat geheißen, dass die Busse am Walserberg kontrolliert werden, aber letztendlich war es dann aber so, dass sie auf die Tauern-Autobahn umgeleitet worden sind. Dort wurden dann zwei oder drei Busse aus dem Konvoi herausgezogen. Danach wurde der Parkplatz abgesperrt und alle anderen Fan-Busse sind dann über Umwege zum Stadion gelangt.
Hier sind die Leute ausgestiegen und es herrschte schon eine sehr wütende Stimmung vor – aus Unverständnis, warum man über die Tauern-Autobahn abgeleitet wurde und warum zwei bis drei Busse herausgezogen wurden. Wie es unter aktiven Fanclubs üblich ist, solidarisierte man sich untereinander und die anderen Busse warteten, bis alle Busse da sind. Die Leute haben friedlich auf dem Parkplatz vor dem Stadion gewartet, gut behütet von Einsatzkräften der Polizei. Es war kalt, es hat geregnet und die Leute haben gewartet. Ich habe mich ständig zwischen Auswärtssektor und Busparkplatz hin und her bewegt. Letztendlich war es dann so, dass erst 20 bis 30 Minuten vor Spielende die letzten Busse eingetroffen sind. Die Fans gingen dann vom Busparkplatz zum Stadion.
98 Personen sind kriminaltechnisch sind auf der Tauern Autobahn erfasst worden. Was haben dir die Leute darüber erzählt?
Armin Weber: Es herrschte bei den Augenzeugen großes Entsetzen und Unverständnis über diese Maßnahme. Anscheinend war es so, dass die Leute zum Aussteigen gezwungen worden sind. Zum Teil hatten die Leute ihre Jacken im Bus gelassen und standen dann 60 – 90 Minuten im Regen. Auch der Toilettengang wurde ihnen anscheinend verwehrt. Das ist natürlich ein Umgang, der absolut nicht deeskalierend wirkt, sondern die Menschen wütend und aggressiv macht. Das war dann auch die Situation vor dem Auswärtssektor, wo einige Fans versucht haben, sich Eintritt zu verschaffen, während andere versucht haben, sich noch Karten zu kaufen. Ganz viele hatten schon Karten gekauft und sind hinten gestanden. Dann kam es zu einem sehr chaotischen, unüberschaubaren Polizeieinsatz mit dem Resultat, dass sehr vielen Fans der Eintritt zum Stadion verwehrt wurde. Was tragischer Weise auch passiert ist, ist, dass ein Polizist durch einen pyrotechnischen Gegenstand verletzt wurde. Das ist natürlich auch eine Katastrophe für alle aktiven Fans, die für den Erhalt von Pyrotechnik als Stilelement der Fankultur kämpfen. So werden solche Bemühungen natürlich ad absurdum geführt.
Jedenfalls wurden Fans auf teilweise sehr aggressive Art und Weise durch die Einsatzkräfte zurückgedrängt. Es hat dann kurz geheißen: Der Sektor ist zu und die Leute können auf die Osttribüne ausweichen. Dem war dann aber auch nicht so, denn viele Leute standen vor der Osttribüne und kamen nicht rein. So war das Chaos perfekt. Im Endeffekt standen dann viele Leute vor verschlossen Toren. Fünf Grad, Regen, also wunderbar! Besser kann man sich ein Fußballspiel nicht vorstellen! Es war das erste Spiel für mich, bei dem ich nicht einen Schritt ins Stadion setzen konnte. Mir ist das Ganze bei dem ohnehin angespannten Verhältnis zwischen Fußballfans und Polizei nicht verständlich. Kontrollen kann man durchführen, für mich ist aber nicht nachvollziehbar, warum man Fan-Busse auf eine andere Autobahn umleitet, die weit ab vom Stadion liegt und dort Kontrollen durchführt, wenn sich vor dem Stadion ein großer Parkplatz befindet. Wenn man kontrollieren will, hätte man das meiner Meinung nach auch anders machen können. Es war eine sehr aufgeheizte Stimmung und es ist dann leider zu Eskalationen gekommen. Das ist schlimm für jeden Fußballfan, schlimm für das gesamte Fußballumfeld, weil es einfach nicht sein hätte müssen.
Es ist auch zum Schlagstock-Einsatz der Polizei gekommen. Es hat unter den Fans einige verletzte Jugendliche, auch Frauen gegeben. Weiß man da schon wie es den Betroffenen geht?
Armin Weber: Ich habe bisher nur mit einer Person Kontakt, die sich bei mir gemeldet hat. Da bin ich noch dabei, zu eruieren, wie die Sachlage ist. Ansonsten ist mir leider noch nichts bekannt. Die Leute sollen sich melden, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen und dagegen etwas machen wollen. Dafür bin ich auch da, dass man Probleme aufzeigt und gegen das Handeln der Exekutive sich auf rechtsstaatliche Art und Weise zur Wehr setzt. Das ist wichtig, damit sich die Spirale der Gewalt und Gegengewalt nicht ständig zuspitzt. Dagegen arbeiten wir ja auch. Wir versuchen eine Entspannung zu erreichen und die Basis dafür zu legen, dass wieder ein Dialog stattfinden kann. Letztendlich sind es im Fußball Menschen auf allen Seiten, die zusammenkommen, mit welchen Hintergründen auch immer, da nehme ich die Polizisten nicht aus. Nur muss es möglich sein, Konflikte auch auf andere Art und Weise zu schlichten. Ein gutes Beispiel aus Deutschland: Dort versucht man ständig einen Dialog zu halten. Es gelingt nicht immer, aber man versucht mit allen Institutionen, die im Fußball tätig sind, ständig im Dialog zu sein, auch mit der Exekutive. Das muss einfach stattfinden, denn wir drehen uns im Kreis.
Wenn man das Fußball-Wochenende noch einmal Revue passieren lässt, kommt man sehr schnell darauf, dass es in anderen Bundesländern ähnliche Aktionen gegeben hat, unter anderem in Klagenfurt, wo es Fans von Vorwärts Steyr betroffen hat. Auch im Burgenland soll mit Fans von Sturm Graz etwas vorgefallen sein. Wie schätzt du die Lage in Gesamt-Österreich ein?
Armin Weber: Das ist schwer für mich eine Einschätzung zu treffen, weil mir da die Einblicke fehlen. Was mir vorkommt, ist, dass sich die Fronten verhärtet haben und speziell jugendliche Anhänger dieser Ultra-Subkultur sich nur bestätigt fühlen und auch immer aggressiver werden, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Das muss nicht sein. Es muss möglich sein, dass Fußball-Fans ihre Subkultur ausleben können, natürlich mit Grenzen und das funktioniert momentan nicht. Es gibt derzeit zwei Seiten, die sich als „gut“ und die jeweils anderen als „böse“ bezeichnen. Dass das keine geeignete Ausgangsposition ist, um dauerhafte Lösungen zu schaffen, ist verständlich. Allein die Dinge, die jetzt im Umfeld von den Rapid-Ultras mit diesem Monster-Prozess gegen 80 Angeklagte, passieren. Solche Dinge verhärten die Fronten und bringen gemäßigte Kräfte in den Kurven zum Schweigen und bestätigen die Hardliner in ihrem Handeln. Das kann´s nicht sein.
Die „normalen“ Fans, Zuschauer, Fußballinteressierten sind immer wieder ganz fassungslos ob solcher Ereignisse. Was kann man denen sagen?
Armin Weber: Es ist schwierig, vielen Menschen fehlt das Verständnis für Fankultur. Ich aus meiner sozialarbeiterischen Sicht sage: Das Fußballstadion ist nicht erst seit zehn Jahren ein Platz, wo viele Menschen ihre Emotionen und auch Aggressionen auf verschiedene Art ausleben. Das gibt es schon länger. Nur, diese Ultra-Kultur hat vor allem für junge Leute einen großen Reiz. Das ist eine Tatsache und die kann man nicht aussperren oder wegleugnen und sagen, dass das keine Fans sind. Man muss mit den Tatsachen leben und sich da ernsthaft Gedanken machen: Was passiert in Österreich, was passiert europaweit auf den Fan-Tribünen? Was sind die Hintergründe dafür, dass so etwas, in welcher Ausformung auch immer, passiert? Auch das Phänomen, dass sich Abertausende von Menschen überlegen, jahrelang überlegen, wie sie ihren Verein bestmöglich unterstützen können. Gleichwohl gibt es aber auch Probleme mit dieser Subkultur. Doch diese Probleme gibt es bei allen jugendlichen Subkulturen und allen Formen von Freizeitgestaltungen.
Dem sogenannten „Normalo“ ist es völlig fremd, dass man einerseits den Verein seines Herzens durch unglaublich viel Zeit, Engagement und auch Geld unterstützt und ihn andererseits, wenn im Stadion etwas passiert, imagemäßig und finanziell wieder schadet. Gibt es da einen Erklärungsansatz?
Armin Weber: Es gibt unterschiedlichste Erklärungsansätze. Das einfachste ist zu sagen: „Hätten sie doch eine gute Erziehung genossen!“ oder man bezeichnet sie als ein paar „Asoziale, die nur Krawall machen wollen“. Das sind so die gängigsten Erklärungsformen. Es gibt aber unterschiedlichste Beweggründe für Jugendliche, zu Fanklubs zu gehen und dort die unterschiedlichsten Ausprägungen der Aktivitäten. Bei einer Einzelperson muss man schauen, was die Hintergründe für ein bestimmtes Verhalten sind. Das kann man nicht über einen Kamm scheren, auch, wenn es die Leute gerne hätten. Eine Gruppe einfach als „Asoziale“ hinzustellen und zu fordern, dass sie „alle eingesperrt gehören“ löst keine Probleme. Das kennt man aus der Sozialarbeit, aber nicht nur bei Fußballfans. Das betrifft Jugendliche allgemein, die sich nicht gesellschaftskonform verhalten, und viele andere Klienten-Gruppen in der sozialen Arbeit, wo die Öffentlichkeit das Problem negieren will. Sie fordert dann, dass diese „wenigen“ ausgeschaltet, weggesperrt und bestraft werden sollen.
Dies ist allerdings kein schlüssiges Erklärungsmodell, denn ansonsten hätte das die Polizei schon längst geschafft. Es ist ja nicht so, dass die Polizei wegschaut und nichts tut, ganz im Gegenteil. Die Gesetze wurden immer wieder verschärft, auch europaweit, unterschiedliche behördliche Maßnahmen gegen Fußballfans wurden gesetzt. Das Resultat war, dass sich die Fans bestärkt fühlen und es dieses abweichende Verhalten, die Gewalt, immer noch größer geworden ist. In Deutschland gibt es die Fan-Sozialarbeit schon seit vielen Jahren und da ist viel Aufbauarbeit geleistet worden. Das heißt aber nicht, dass Sozialarbeit des Rätsels Lösung ist. Sie ist nur ein weiterer Schritt, um mit diesem Phänomen umzugehen und Lösungen zu finden, die für alle Seiten praktikabel sind und nicht nur für eine Seite.
Abschließende Frage: Wie werden von Seiten der Fanarbeit Innsbruck die Vorfälle vom Rapid-Spiel und vom Salzburg-Auswärtsspiel aufgearbeitet?
Armin Weber: Mir ist wichtig, dass ich das vor allem in Einzelgesprächen mache. Personen, die Probleme mit der Exekutive und der Justiz haben, sollen zu mir kommen. Dann werden die Situationen beleuchtet und wir schauen, was im Einzelfall sinnvoll und hilfreich ist. Weiters ist natürlich auch wichtig, dass man das Fehlverhalten von Fanseite anspricht, genauso wie das nicht konstruktive Verhalten der Polizei bei gewissen Einsätzen. Das sind die wichtigsten Dinge.
Speziell für das Salzburg-Spiel heißt das: Die Leute melden sich und es wird zusammen mit einem Rechtsanwalt abgeklärt, was geschädigte Personen auf rechtsstaatlicher Ebene unternehmen können, um sich dagegen zur Wehr zu setzen. Damit soll, wie schon gesagt, diese ständige Gewaltspirale durchbrochen werden und sich die Leute auch vertreten fühlen. Somit soll eine Entspannung der Situation eintreten. Das ist im Moment das Wichtigste. Geplant ist von der Fanarbeit Innsbruck auch, dass wir demnächst mehr in Richtung Gesamt-Österreich schauen, dass auch die Ansätze der Fan-Sozialarbeit in Österreich Gehör finden. Ich werde noch im April zur Bundesliga fahren und dort das Konzept vorstellen. Da werde ich die Vereine darüber informieren, welche Alternativen es zu Stadionverboten und erhöhter Polizeipräsenz gibt.
Vielen Dank und alles Gute!
Kontakt Armin Weber: armin.weber@fanarbeit.at