Mostar – so nah und doch so fern
Nur zwei Stunden Flugzeit trennen Innsbruck von der bosnischen Hauptstadt Sarajevo, noch zwei weitere Busstunden von der größten Stadt der Herzegovina, Mostar. tivoli12-redakteur Julian Fuchs nutzte seinen Aufenthalt um auch in Sachen Fußball ein wenig über den Tellerrand zu blicken und sich vom zeitgleich stattfindenden „Kellerduell“ in Österreich ein wenig abzulenken.
Die wunderschön am Ufer der Neretva gelegene Stadt Mostar ist von der Größe her vergleichbar mit Innsbruck und ebenfalls von Bergen ringsum eingekesselt. Danach hört es sich mit der Vergleichbarkeit aber schnell auf: Mostar ist auch heute noch geprägt von den Spuren des Bosnienkriegs vor knapp zwanzig Jahren. Zwar wurde das osmanisch geprägte Wahrzeichen der Stadt, die Stari Most (alte Brücke), die 1993 von kroatischer Seite zerstört worden war, 2004 wiedererbaut und 2005 zum UNESCO-Weltkulturerbe erhoben, Ruinen und zerschossene Fassaden sind jedoch in der ganzen Stadt allgegenwärtig. Und nicht nur der Alltag teilt Mostar zwischen römisch-katholischen Kroaten und muslimischen Bosniaken, auch der Fußball ist nach wie vor von ethnischen Reibereien geprägt.
Velez und Zrinjski Mostar
Der FK Velez Mostar (benannt nach dem Hügelzug nahe der Stadt) wurde 1922 als linker Arbeiterverein gegründet und galt lange Jahre als Sinnbild für den Zusammenhalt der verschiedenen Ethnien der Stadt. Velez Mostar spielte über Jahre in der höchsten jugoslawischen Liga und durfte sich sogar zweimal über den Cupsieg (1981 und 1986) freuen – und das angesichts von Gegnern aus Belgrad, Zagreb oder Sarajevo. Zahlreiche Spieler internationalen Rangs schnürten ihre Schuhe für den roten Verein aus Mostar: Aleksander Ristic, Sergej Barbarez oder Hasan Salihamidzic zum Beispiel. Der Kriegsausbruch 1992 stoppte den bosnischen Fußball und mit Wiederaufnahme des Vereinslebens nach Kriegsende sah sich Velez Mostar mit zahlreichen Problemen konfrontiert: Das Team war zerstreut, das große Stadtstadion Bijeli Brijeg lag auf kroatischer Seite und war inzwischen vom kroatischen Erstligisten und Stadtrivalen Zrinjski Mostar genutzt worden. Velez Mostar musste somit in den Vorort Vrapcici als Spielort ausweichen und krebste jahrelang nur in unterklassigen Ligen herum. Erst 2006 gelang dem roten Stern von Velez Mostar die Rückkehr in die höchste Spielklasse. Auf Grund von fehlender Infrastruktur spielt Velez Mostar aber nur ums blanke Überleben in der Liga und verkauft jedes Jahr die größten Talente an finanzkräftigere Vereine. Der Unterstützung der links-orientierten Fans darf sich der FK Velez Mostar aber weiterhin Gewiss sein, immerhin zählt Velez Mostar schon seit 1981 auf die Unterstützung des ultra-orientierten Fanclubs Red Army. Zahlreiche Mauerverschönerungen in der bosnischen Hälfte von Mostar zeugen von der Bedeutung des FK Velez Mostar und seiner Fanclubs als Ankerpunkt für die von Jugendarbeitslosigkeit und Perspektivenlosigkeit gebeutelte Region Herzegovina.
FC Velez Mostar – Zvijezda Gradacac
Ein Kellerderby steht an am 3.11.2012: Velez Mostar als 12. trifft auf den Tabellennachbarn und 13. Zvjezda Gradacac in der sechzehn Teams umfassenden höchsten bosnischen Spielklasse, die klar von Teams aus der Hauptstadt Sarajevo dominiert wird. Trotz Sicherheitsbedenken von einheimischen Uni-Kollegen bringt uns unser Lokal-Guide und Uni-Lektorin Katharina Stelzl mit dem Taxi zum Duell des Mostarer Kultklubs mit dem Gegner aus der serbisch geprägten Teilrepublik Srpska in den Vorort Vrapcici. Das Stadion Vrapcici verfügt dort lediglich über eineinhalb veraltete Tribünen für knapp 5000 Zuschauer, ist jedoch umso liebevoller mit roten Sternen verziert. Der Fanclub Red Army hat sich auf einer kahlen Stehplatztribüne für 1,50€ eingefunden und wird gut von lokalen Polizeikräften bewacht. Nur etwa 30 motivierte Fans haben sich dort hinter einem großen Red Army Banner eingefunden, der zugehörige Trommler posiert zwar oben ohne, beschränkt seinen Trommel-Einsatz jedoch zunächst. Unter den anwesenden etwa 600 Zuschauern finden sich auf der Haupttribüne für 2,50€ auch etwa 30 mitgereiste Fans aus Gradacac – die gefürchteten Auseinandersetzungen bleiben jedoch zumindest heute aus.
Programmgemäß geht’s los: Nach Abspielen der sowjetisch anmutenden Vereinshymne von Velez betritt ein junges, ganz in rot spielendes Heimteam den Rasen und übernimmt sofort die Kontrolle am Feld. Mit schnellen Vorstößen nimmt das technisch starke Velez Mostar den Gegner auseinander. Das Tor erzielt aber Zvijezda: Die erste Chance aus einem Konter führt sogleich zum 0:1. Die Schmährufe im rot eingefärbten Publikum werden sofort lauter, organisierter Support fehlt jedoch gänzlich. Velez spielt weiter nach vorn und gerade als die Haupttribüne alle Familienmitglieder der gegnerischen Spieler mit Schimpfworten bedacht hat, klingelt es doch noch: Knapp vor der Pause fällt aus einem schönen Antritt über den rechten Flügel der längst verdiente Ausgleich zum 1:1. Das Publikum erwacht und fordert die Führung, unter Applaus geht’s in die Kabinen. Das Pausenbier bleibt aber mangels Verfügbarkeit auf den Tribünen einfach aus. Auch nach der Pause agiert Velez überlegen, vergibt jedoch weiterhin Chance um Chance. Erst in Minute 77 gelingt einem eingewechselten Abwehrhünen per Kopf das 2:1, nachdem zuvor mehrmals aus kurzer Distanz verstolpert wurde. Nun brennt das Stadion Vrapcici doch noch: Alle Fans stehen und feiern ihr Team, die Welt in Mostar ist zumindest kurzfristig in Ordnung. Und als sich nach dem Schlusspfiff alle in die Arme fallen und gleich noch zur Feier des Tages die Bäckerei ums Eck leer kaufen, ist klar: Zur kompletten Glückseligkeit fehlt Mostar heute nur noch eines: Nachricht aus Wiener Neustadt. Und da kommt sie auch schon: Roman Wallner hat den FC Wacker Innsbruck mehr oder weniger zeitgleich aus dem Tabellenkeller geschossen – spätestens jetzt feiert wirklich ganz Mostar.