Skip to main content

Wiener Vergesslichkeit

Die Vergesslichkeit ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft. Der Körper verwendet sie etwa als Schutz, um traumatische, schmerzhafte Ereignisse zu löschen und sich so selbst zu schützen. Vergesslichkeit kann auch beabsichtigt sein, wenn man etwa weiß, wo sein Auto war, aber nicht man selbst. Manch einer hat schon sein kleines Angespartes in der Schweiz oder Liechtenstein vergessen – ein Schicksal, das derzeit wohl weder Rapid Wien noch Wacker Innsbruck teilen. Doch auch wenn dieses Problem den beiden Vereinen fremd ist, Vergessen ist auch ein Teil des Fußballs…

Who the f… is Villa?

Wobei, so schnell vergessen haben die Aston-Villa-Fans ihren zweimaligen Europaleague-Qualifikationsgegner Rapid Wien wohl nicht. Nicht die Mannschaft, die das Team der Premier-League 2009 und 2010 aus dem europäischen Bewerb eliminierte, und nicht ihre grün-weiße Anhängerschaft, die den Villa-Park in ein Tollhaus verwandelten und der inzwischen vornehmen britischen Noblesse des Stadionalltags Emotion und Feuer entgegensetzten. Und schon gar nicht die harsche Frage von 2000 Hütteldorfern, wer denn bitte Villa sei… Auch heuer wartet für die Wiener wieder die Europa-League-Gruppenphase, doch bevor es gegen die Schweizer aus Thun, die Belgier aus Genk und die Ukrainer aus Kiew geht, steht noch ein Besuch am Innsbrucker Tivoli an. Und diesen Ligaalltag würden die Penzinger wohl am liebsten vergessen. Rund um die Qualifikationsspiele gegen den georgischen Vertreter Dila Gori setzte es für den Rekordmeister der Wiener Liga Niederlagen gegen so übermächtige Gegner wie Admira oder Grödig, in der Tabelle liegt man mit nur zwei Siegen aus sieben Spielen nur einen kleinen Zähler vor dem FC Wacker Innsbruck, nur ein Tor konnte man mehr erzielen als die Tiroler – für die Ansprüche eines SK Rapid Wien wohl zu wenig, auch die internationalen Spiele können darüber kaum hinwegtrösten.

Who the f… is Innsbruck?

Dabei hat Rapids Trainer Zoran Barisic eigentlich genug Erfahrung im europäischen Fußball, konnte er sich mit den Hütteldorfern doch in der Saison 95/96 bis in das Finale des Europacups der Cupsieger vorkämpfen, in welchem man Paris St. Germain mit 1:0 höflich den Vortritt ließ. Zwei Tore in sechs Spielen brachte ihm diese Saison, es folgten noch zwei Champions-League-Qualifikationsrunden mit Rapid, und auch im schwarz-grünen Trikot durfte Zoki viermal auf europäischem Rasen auflaufen. Ein paar Spiele mehr für die Innsbrucker hat da schon sein Pendant Roland Kirchler auf dem Buckel bzw. in den Beinen, ist er doch mit 30 Europacup-Auftritten der Vierterfahrenste in der langen Geschichte des FC Wacker Innsbruck. Doch all das ist Makulatur und längst vergessen, denn es geht nicht um Europa, das Ziel der Tiroler lautet: Punkte gegen die „Großen Drei“. Bisher ließen sowohl Salzburg und Austria Federn, erlegt wurde die Beute jedoch nicht. Dehalb heißt es nun, sich doppelt anzustrengen und vielleicht auch alte Erinnerungen herauszukramen. Etwa das 4:0 am 18. Juli 2010, als Aufsteiger gegen das große Rapid, das sich vor dem Spiel fragte, wer denn bitte dieses Wacker sei – um nach dem Spiel fassungslos zu fragen, wer denn bitte diese Spieler sind, die, von einem randvollen Tivoli getragen und beflügelt, dem Rekordmeister das Fürchten lehrten.

Wer ist schon Rapid?

Dazwischen gab es aber so manche bittere Phase für die Kicker von der Sill. So manches Spiel, das man lieber dem Vergessen anheimfallen lassen würde. Nur ein weiterer Sieg erlebten die Innsbrucker in den folgenden elf Spielen, sechs Niederlagen mussten ertragen werden, die 0:3-Heimniederlagen am 16. April und 24. September 2011 sind gleichbedeutend mit den höchsten Auswärtssiegen Rapids gegen Wacker. Gleich 22mal schlug es im wackeren Gehäuse ein, Deni Alar und Terrence Boyd konnten dabei mit ihren Treffern mit Poldl Grausam gleichziehen, der in den grün-weißen Streifen ebenfalls viermal gegen Innsbruck traf. Bei all diesen Vorzeichen scheint es schon völlig vergessen, dass die Hütteldorfer im April 1990 mit 6:1 aus dem Tivoli torpediert wurden, oder dass sie ihr erstes Spiel gegen Wacker im August 1964 mit 0:1 verloren.

Wider das Vergessen

Und es ist auch zu Recht vergessen, denn für das Spiel am Samstag hat dies alles keine Bedeutung. Aber wenn die Wackerianer nicht auf ihre Tugenden der letzten Spiele vergessen, auf ihren Kampf und ihren Willen, auch verloren scheinende oder aussichtslose Spiele noch zu drehen, dann könnte es ein Nachmittag zum immer wieder Erinnern werden.

Avatar photo

Autor: Stefan Weis

Dieser Text stellt geistiges Eigentum des tivoli12 magazins dar und ist somit urheberrechtlich geschützt. Um den Text, oder Teile davon nutzen zu können, setzen Sie sich bitte mit dem tivoli12 magazin in Verbindung.
Skip to content