Fußball in einer Parallelwelt
Ein Abstiegskandidat zu Gast beim Zweiten, ein später Ausgleich und somit ein 1:1, das beide Lager keinen Schritt weiter bringt. Man könnte meinen, ich hätte den Samstagnachmittag in den Feldern vor Salzburg verbracht – nein, ich war in den Feldern vor meinem neuen Zuhause, dem englischen Cambridge.
Kulturgut Cambridge United
Wenig wirklich Einheimisches gibt es in der Universitätsstadt Cambridge nordöstlich von London zu sehen: Die Stadt ist dominiert von der mächtigen Universität, ihren alten Colleges und all ihren (Elite-)Studenten aus der ganzen Welt. Und doch gibt es eine Liebe, die nahezu alle echten Locals teilen: Cambridge United FC, die gelb-schwarzen Farben (oder original amber-black) sind in den Pubs allgegenwärtig. In der über einhundertjährigen Geschichte waren die U’s nie erstklassig und trotzdem sind sie tief in der Gesellschaft verankert. Selbst in der halbprofessionellen Spielklasse fünf (Confence National) versammeln sich im Schnitt über 3000 Zuschauer im Abbey Stadium. Bei echter Familienatmosphäre versammeln sich die gelb-schwarz gestreiften Trikots in einem farblich voll angepasstem Stadion, das allerdings schon deutlich bessere Tage gesehen hat.
Your city, your team
Um fünfzehn Pfund gibt’s ein Ticket für den Stehplatzsektor North Stand (ja, so etwas gibt’s offenbar in England!) und so kommen auf meiner neuen Nord bei perfektem Fußballwetter bald heimatliche Gefühle auf. Der schwarz-grün gestreifte Neuzugang wird kurz beäugt, aber sogleich freudig begrüßt. Und etwas Gold kann ich ja auf meinem Pulli auch bieten. Alle Altersklassen von eins bis einhundert sind schließlich auf der Tribüne vertreten und üben sich in gemeinschaftlichem Support ihres Teams, das um den Aufstieg in Liga vier kämpft. Überraschend für den Österreicher unter ihnen: Fußball findet hier ohne Bier, Nikotin und feindliche Sprechchöre statt. Wenn’s läuft, gibt’s Support von allen Tribünen; im Gegenzug überträgt sich allerdings die Flaute am Spielfeld auch gnadenlos auf die Tribüne.
Meine Fußballseuche
Dartford steht heute auf der Speisekarte von Cambridge United, ein Pflichtsieg. Alle sind sich einig vor dem Spiel, heute müssen drei Punkte her, um für den Aufstieg den direkten Weg ohne Playoff-Spiele zu nehmen. Die Amber Army – so die Bezeichnung der eingefleischten Cambridge Fans – hat jedoch nicht mit meinem Erstbesuch im Abbey Stadium gerechnet: Nichts will heute gehen. Cambridge läuft sich fest, Dartford agiert bissig in den Zweikämpfen und kämpft ums Überleben in der Liga. Der geübte Wackerfan reibt sich ungläubig die Augen ob des dargebotenen Kampfgeists! In der 70. Minute passiert’s dann doch: Cambridge trifft in Person des Publikumslieblings Marke Sammy Koejoe zum schmeichelhaften 1:0 gegen wahrlich tapfere Gäste. Fast hätte ich mich über einen in den letzten Jahren so selten genossenen Heimsieg freuen dürfen, doch dann schlägt meine Fußballseuche wieder gnadenlos zu: Der soeben zum Man of the Match gekürte Innenverteidiger köpfelt direkt vor die Füße seines Gegenspielers und schon steht es in der Schlussminute 1:1. Nun ist’s aus mit der englischen Contenance: Aus den „beloves U’s“ werden plötzlich „stupid U’s“ – ein bisschen Fußballslang gibt’s also doch noch.
Meine Contenance ist dann erst im heimatlichen Wohnzimmer vorbei: Zeitgleich hat sich in der österreichischen Parallelwelt auch mein beloved Wacker das 1:1 eingefangen. Mit dem Unterschied dass Grödig dem Vernehmen nach kaum dafür kämpfen musste.