Erfahrung
Zwei Siege in Folge, 5:1 Tore, ein klarer Aufwärtstrend. Eigentlich könnte der FC Wacker Innsbruck mit hocherhobenem Haupte auf einen erschöpften Europacup-Starter treffen, der in den letzten neun Tagen drei Spiele absolvieren musste und durch die Niederlage gegen Liefering den Anschluss an die Spitze etwas verlor. Doch die Erfahrung lehrt, dass St. Pölten der Favorit ist. Dabei sind die Erfahrungen der Teams gar nicht so unterschiedlich.
Erfahrung, historisch
St. Pölten ist ja eigentlich ein alter Kulturplatz. Und ich meine jetzt nicht, dass sich an der Traisen schon in der Jungsteinzeit die ersten Niederösterreicher herumtrieben oder dass die Römer ihre Stadt Aelium Cetium hier errichteten. Nein, ich meine damit, dass in der Stadt am Kloster des Hl. Hippolyt fleißig der Kultur des runden Leders gefrönt wurde. Eifrig, aber meist für sich allein. So gab es 1973, als der Betriebssportverein der Voith und der SC Furthner Schwarze Elf zum VSE fusionierten, um endlich höheres zu erreichen, noch 11 weitere Vereine in der 50.000-Einwohner-Stadt. Zu mehr als sechs Jahren 1. Division reichte es jedoch nicht. Jedoch sah man einen Panenka, einen Kempes am Voithplatz kicken. Allerdings wechselte man auch in Niederösterreich gegen Ende dieser Episode fröhlich Namen und Farben, um mutmaßlich finanziell bessergestellt zu werden. So mutierte man nach Fusion mit dem SV Gerasdorf zum FC Niederösterreich, wurde dann zum Flash St. Pölten und schlitterte nach einem dubiosen Geschäft mit einer amerikanischen Investmentgruppe, vermittelt durch einen heimischen Betrüger, in Finanzprobleme und verlor im Jahr darauf die Lizenz. Als erfahrener Tiroler nickt man bei diesen Geschichten nur leidgeprüft. Die Neugründung SKN St. Pölten sollte diese Erfahrungen verarbeiten helfen und man arbeitete sich konstant aus der fünften in die zweithöchste Spielklasse vor. Und geht es nach den Wünschen der Niederösterreicher, soll im neuen, schmucken Stadion schon bald Bundesliga-Fußball stattfinden.
Erfahrung, quantitativ
Ja, es stimmt. Beide Mannschaften wurden von den Medien vor der Saison als Aufstiegskandidaten betitelt, auch wenn so mancher Journalist lieber nichts davon gesagt haben möchte. Und rein von den finanziellen Voraussetzungen und der Erfahrung in der Bundesliga mag das auch stimmen, denn das Budget des SKN St. Pölten wird auf 4 Millionen Euro geschätzt, das des FC Wacker Innsbruck unterscheidet sich davon nur geringfügig. Die Niederösterreicher können 10 Spieler mit 292 Matches Erfahrung in Österreichs höchster Spielklasse vorweisen, die Tiroler gar 17 mit 1027 Spielen. Auch die Erfahrung in der zweiten, sprich Ersten Liga zeigt den Wunsch nach oben zu gehen: 23 Spieler bringen bei den St. Pöltnern 1378 Matches auf die Waagschale, die Innsbrucker halten trotz Erneuerung und Vergangenheit in der Bundesliga mit 20 Ballesterern und 475 Spielen dagegen. Die mangelnde Erfahrung in Spielen dieser Klasse dürfte also für keinen der beiden Kontrahenten eine Ausrede sein: Hölzl, Hauser und Säumel bringen es auf insgesamt 636 Bundesligapartien, Micic und Grünwald auf gut 196 Erste-Liga-Spiele – wäre dies das einzige Kriterium für einen Führungsspieler, es gäbe keine Ausreden. Doch auch der Niederösterreichische Abwehrchef Tomasz Wisio kann 154 Auftritte in Österreichs höchster Spielklasse vorweisen, dazu kommen noch sechs St. Pöltner, die dem 100er-Club der Ersten Liga schon lange beigetreten sind. Was jedoch auffällt: keiner dieser „weisen Männer“ hat in seiner Berufsbezeichnung „Stürmer“ stehen.
Erfahrung, qualitativ
Und dennoch unterscheiden sich die Voraussetzungen der beiden Teams völlig. St. Pölten kommt mit zwei Dritteln positiv absolvierter Spiele, 53 Punkten und 52 erzielten Toren, einem Cupfinale und der Freude, einen Kurzauftritt in Europa absolvieren zu dürfen in die Saison 2014/15. Wacker Innsbruck hingegen – mit etwas weniger Freude, es wurde oft genug erwähnt. Die Niederösterreicher mussten auf Grund der Leistungen sogar den Abgang ihres Trainers zum FAK hinnehmen (um im Gegenzug deren bisherigen zu verpflichten) und konnten unter anderem mit Christian Hayden, Daniel Segovia und Bernhard Luxbacher drei Spieler verpflichten, die in der letzten Saison für Grödig, den WAC und die Wiener Austria 27 Bundesligaspiele absolvierten. Zudem wurden Nachwuchshoffnungen rekrutiert, etwa den um drei Jahre jüngeren Bruder des Rapidlers Dominik Starkl, Sebastian – und auch ein Tiroler wurde neu hinzugeholt. David Oberortner, einst Spieler des ISK, IAC und im BNZ bzw der AKA U18 und seit 2006 in der Ausbildungsschiene der violetten Favoritener, wechselte an die Traisen. Bei Innsbruck können die drei Neuverpflichtungen, die vergangene Saison in der Bundesliga kickten, gar 44 Spiele vorweisen – ihr Können blieb jedoch bisher noch zu oft verborgen.
Erfahrung, zukünftig
Welche Art von Erfahrung den FC Wacker Innsbruck an der Traisen erwartet, ist völlig offen. Sollte allerdings der Aufwärtstrend fortgesetzt, die zu konstanter Arbeit notwendige Ruhe beibehalten werden, dann könnte sich der FCW mit einem Sieg gar nach oben orientieren. Ansonsten könnte es Personalrochaden neben dem Vorstand und dem Backoffice wohl auch bald in der sportlichen Abteilung geben, allen Versicherungen von Kontinuität zum Trotz…