Ich sehe was, was du nicht siehst
Ein Blatt Papier, gefaltet. Ein bisschen Tinte, verronnen. Ein Klecks, chaotisch. Und bitte, jetzt sind Sie dran – was sehen Sie? Der Rorschach-Test, auch außerhalb der Kreise von Psychologen und ihrer Klienten bekannt, soll Assoziationen erwecken, die Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Probanden zulassen. Aber es muss nicht Tinte und Papier sein – der FC Wacker Innsbruck ist derzeit nichts anderes als ein großer, schwarz-grüner, chaotischer, wild verronnener Klecks. Und dennoch finden sich immer wieder Menschen, die sich mit ihm beschäftigen, ihn gebannt anschauen, etwa am kommenden Freitag gegen Mattersburg. Ein Psychoanalyst hätte seine reinste Freude…
Ei, Ei
Blickt man auf die Tintenkleckse, so sieht man zumeist Schmetterlinge, Fledermäuse, Menschen oder Bären, manche sehen – zur Freude von Herrn Freud – das ein oder andere Geschlechtsmerkmal. Sehen Sie verfaulende Baumstümpfe oder Satan bei der Arbeit, sagen Sie es ihrem Therapeuten besser nicht, Sie könnten sich bald in einer geschlossenen Einrichtung wiederfinden. Sieht man auf Wacker, so sieht man derzeit wirklich nur ein formloses Etwas, ein Chaos. Nur hier, ausnahmsweise, liegt es nicht am Betrachter, es liegt am Tintenklecks selbst. Gegen Horn wurde etwa erstmals seit 2 Monaten wieder mehr als ein Treffer erzielt und erstmals seit 56 Tagen wieder ein Sieg nach Hause gebracht. Das sind 1.344 Stunden, in denen man 26.880 Drei-Minuten Eier hätte kochen können. Wären es kleine Produkte vom Huhn zu rund 40g gewesen, hätte man in der mittlerweile verronnenen Zeit 4.417.037 mg Cholesterin zu sich genommen. Und damit den Cholesterin- vermutlich auf die Höhe des Adrenalin-Spiegels angehoben, den diese Leistung der Schwarz-Grünen hervorgerufen hat. Verwunderlich ist, dass diese beiden Werte bei den 1.568 verbliebenen Tivoli-Besuchern nicht noch weiter ins unermessliche gestiegen sind, denn die katastrophale Zweikampfquote von nur 42% gewonnener Duelle bei einem Ballbesitz von weniger als der Hälfte und einer erfolgreichen Passquote von unter einem Drittel hätte eigentlich anderes vermuten lassen. Und wenn Marco Kofler mit 57% positiver Zweikämpfe der beste Wackerianer ist, scheint es im Defensivbereich ähnlich chaotisch zuzugehen wie im gesamten Verein.
Wirklich extrem
Die Antworten im Rorschach-Analyseverfahren sagen jedoch nichts über den Klecks aus, sondern über den Betrachter. Bei Wacker handelt es sich dabei durchwegs um masochistisch veranlagte Personen mit einem seltsamen Hang zum Optimismus. Glaubt man doch immer noch, es könnte sich alles zum Besseren wenden. Und das nach einer ersten Saisonhälfte, die einen das Gegenteil gelehrt hat. Ja, der FC Wacker hat als einzige Mannschaft in dieser Saison 5 Siege in Folge eingefahren. Blöd nur, dass dies schon 83,3% aller Saisonsiege waren. Die Innsbrucker können aber noch mit einer weiteren Rekordserie aufwarten, kein Team hat in dieser Saison öfter als sechsmal in Folge verloren. Die Tiroler sind die Mannschaft der Extreme, denn zusammen mit den Mattersburgern blieben sie vier Spiele in Serie ohne Gegentreffer, und nur die Schwarz-Grünen konnten Kopfbälle so vehement verhindern, dass lediglich einer verwertet wurde. Nur 2% aller erzielten Kopfballtreffer bedeuten den geringsten Anteil aller Teams. Mit 24 erhaltenen Toren liegt man damit auch gar nicht so schlecht im Rennen, der Liga-Schnitt bei 24,1 Toren. Das wahre Problem liegt also am anderen Ende des Feldes, dort, wo der SV Mattersburg vorzeigt, wie es geht.
Violette Konturen
Etwa in der Schlussviertelstunde. Ab der 76. Minute erzielten die Burgenländer 11 Tore und strahlt damit die größte Gefahr aus. Oder, besser gesagt, versucht es, denn mit 10 Gegentreffern kassierte man in dieser Phase ligaweit auch die meisten. Damit gleicht man die erste Spielhälfte mehr als nur aus, in welcher man mit nur 5 Toren am wenigsten aller Teams kassierte. Die personifizierte Torgefahr in diesem Spieljahr lautet Karim Onisiwo, auch Innsbruck durfte den ehemals violetten Salzburger schon unangenehm kennenlernen. Eines seiner Elf Tore erzielte Onisiwo im letzten Duell mit den Wackerianern, und im Verbund mit Vorbereiter Michael Perlak, ebenfalls einem ehemaligen Violetten, bringt es das Duo auf 25 Scorerpunkte in 32 Spielen. Dass Onisowo nebenbei noch in den Top-5 der Schussstatistik auftaucht, Perlak die meisten Schussvorlagen der Liga geliefert hat, macht die beiden umso gefährlicher. Die bestechende Abteilung vorne wird ergänzt durch ein kompaktes Mittelfeld, aus dem der Spanier Jano heraussticht. In allen 18 Partien am Platz, 111 Ballkontakte bei der vergangenen Niederlage gegen Liefering, insgesamt mit 1.321 Ballkontakten auf Platz zwei der aktivsten Spieler, einen Rang vor Teamkollegen Michael Novak aus der Mattersburger Defensivabteilung. Beide zusammen fingen 173 Bälle ab und unterbanden somit gegnerische Angriffe – Ligarekord. Hier sind nicht nur Schüttbilder, hier sind Konturen erkennbar.
Konturenlos
Und diese fehlen dem FC Wacker Innsbruck, am Platz wie im Vereinsleben. Da werden Trainer entlassen, aber nicht nachbesetzt, obwohl schon mehrfach klar wurde, dass selbst in der zweiten Liga ein Doppelagieren Sportdirektor/Trainer auf Kosten der Qualität beider Jobs geht. Da werden Generalversammlungen mit Argumenten abgesagt, die man Tage später durch Vereinsabende mit den identen Akteuren selbst ad absurdum führt. Und am Rasen wechseln sich Niederlagenserien mit großartigen Auftritten ab, und weder Spieler noch sportliche Leitung wissen, warum. Es wurde viel verschüttet in den letzten Wochen. Man darf gespannt sein, ob man aus diesen Schüttbildern bald Konturen erkennen wird, oder ob die Wahrnehmung weiterhin völlig subjektiv bleibt. Ich sehe was, was du nicht siehst…