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Das kleine, aber vielleicht einzig wahre Wiener Derby

7.200 abgesetzte Karten im Vorverkauf, Dauerthema in den Medien, Live-Übertragung im ORF und gute Stimmung im Stadion. Nein, wir reden nicht von der Österreichischen Nationalmannschaft, die in der Saison 2014/15 einen Lauf hat. Wir reden aber auch nicht von der Österreichischen Bundesliga oder gar dem Cup. Wir reden von einem Spiel der Regionalliga Ost, der dritthöchsten Spielklasse in Österreich. Dem Spiel zwischen dem Wiener Sportklub und des First Vienna FC 1894 oder Dornbach gegen Döbling.

Aufwärmprogramm

Für den Autor dieser Zeilen ging es mit dem Zug nach Wien, um einer der schlussendlichen 7.842 Besucher zu sein. Der Sportclub-Platz versprüht den Charme, den man den alten englischen Stadien nachsagt. Auf der einen Seite an einem Friedhof grenzend, wird der Platz auf den anderen Seiten von Wohnhäusern ummantelt. Dass nur zwei Flutlichtmasten beim Blick von der Hauptstraße auf den Sportclub-Platz hinweisen, lässt den einen oder anderen Fußballfan ins Schwärmen geraten. Dass das Stadion jedoch in die Jahre gekommen ist, ist jedoch auch klar ersichtlich. Zwei der vier Tribünen besitzen kein Dach, die Toiletten sind über verwinkelte Gänge erreichbar und die Theke ist ein zweckentfremdeter Stand vom Weihnachtsmarkt. Doch das ist auch ein Teil des Charmes so wie das unter der Friedhofstribüne, deshalb so genannt, weil sie gegenüber dem Friedhof liegt, gelegene Fanlokal des Wiener Sportklubs, „The Flag“. Das ehemalige Wohnheim für Spieler wurde umfunktioniert und so trifft man dort schon einige Stunden vor Spielbeginn den ein oder anderen „Überlebenden“ des am Vorabend stattfindenden „Prä-Dörbi Festl“. Die Stunden vergehen, immer mehr Leute kommen. Nicht nur im Lokal, wo sich auch die „FreundInnen der Friedhofstribüne“ einfinden, auch unten auf dem Gehsteig wird der aufgebaute Gastronomie Bereich von den Besuchern genutzt. Dass am Verkaufsstand für die limitierten Derby-Schals großer Andrang herrscht und das begehrte Souvenir rasch ausverkauft ist, passt ins Bild.

Erste Halbzeit

Während der grantelnde Ordner die Leute darauf hinweist, die Aufgänge der Stiegen der Friedhofstribüne frei zu lassen und der einzige blinde Stadionsprecher Österreichs (Roland Spöttling) die Aufstellungen verkündet, sind die Gästefans eifrig am werkeln. Beim Einlaufen der Mannschaften wird eine blau-gelb gestreifte Überollfahne präsentiert. Nachdem sie wieder verschwunden ist, zeigen die Fans des First Vienna 1894 FC noch eine kleine Schal-Parade. Dass das kleine Wiener Derby einzigartig ist, zeigt auch die folgende Schweigeminute für einen verstorbenen Wiener Sportklub Fan. Die Fans der Vienna präsentieren nämlich ein eigens gemaltes Spruchband, welches vom gesamten Stadion mit Applaus quittiert wird. Ins Spiel finden die Gäste aus Döbling leichter. Schon nach drei Minuten kann das erste Mal gejubelt werden. Der Vienna Stürmer verwandelt einen Elfmeter, der Torhüter der Dornbacher muss sich knapp geschlagen geben. Untermalt wird der Jubel der Vienna Fans mit ein bisschen Pyrotechnik. Die Heimfans der Dornbacher begnügen sich mit Aquatechnik, nämlich Seifenblasen. In einem Match, in dem der Wiener Sportklub, trainiert vom ehemaligen Coach des österrieichischen Serienmeisters der Frauenbundesliga SV Neulengbach, versucht das Spiel zu machen und die Vienna die Tore schießt. So geht es mit einem 3:0 Vorsprung der Vienna in die Kabinen.

Pause

In der Pause wird dann die nächste Choreographie vorbereitet. Die beiden Fanszenen beteiligen sich bei der Initiative „Fußballfans gegen Homophie Österreich“ und daher wurden farbige Luftballons verteilt. Während die Friedhofstribüne die Ballone blockweise verteilt, passiert es bei der Vienna reihenweise. Unterschiedliches Bild, selbe Botschaft. Die Luftballone sind auch der Grund für eine kurze Unterbrechung während des Spieles. Hatten sie es sich doch erlaubt, das Feld zu besetzten. Unter „Keine Gewalt“ Rufen der Vienna Fans rücken die Spieler des Wiener Sportklubs aus und machen mit den Stollen ihrer Schuhe den Ballons den Gar aus.

Zweite Halbzeit

In der zweiten Halbzeit kann sich der Wiener Sportklub zwar auf drei Tore herantasten, muss sich dennoch mit 3:5 geschlagen geben. Der First Vienna FC 1894 darf sich weiterhin Hoffnungen auf den direkten Wiederaufstieg machen, wohingegen der Abstand des Wiener Sportklubs auf einen Abstiegsplatz weiter schwindet.
Während die Vienna Spieler mit dem Gästeblock feiern, werden die Spieler des Wiener Sportklubs dennoch mit Applaus in die Kabine verabschiedet. Dass sich der grantelnde Ordner während des Spieles dann doch mehr dem Spiel widmete, als dem Freihalten der Aufgänge kann in den Bereich der Gerüchte verwiesen werden. Ebenso, dass ein Vienna Fan sich als Soldat einer bekannten Science-Fiction Filmserie verkleidet, auf dem Feld herumschlich und nach Aufforderung der Heimtribüne kurz blank zog.

Dritte Halbzeit

Die dritte Halbzeit wurde natürlich auch noch zelebriert. Anders als beim großen Wiener Derby, wo es dabei schon mal recht handgreiflich werden kann. Bier und Würstel wurde in freundschaftlicher Atmosphäre im und vor dem Fanlokal „The Flag“ gemeinsam mit den Kontrahenten verdrückt. Dass die Friedhofstribüne mit ihrem „Wandertag“ zur Hohen Warte und dem Geburtstagsständchen zum 120 jährigen Jubiläum der Vienna eindeutig im Fanvergleich die Nase vorne hatte, war genauso ein Gesprächsthema, wie das gerade laufende EM-Qualifikationsspiel der österreichischen Nationalmannschaft, Auswärtsreisen und Aktionen diverser Fanszenen. Ob die „Sezione Wohnhausbalkon“ sich dem Treiben im Lokal und am Gehsteig anschloss oder weiterhin im „VIP Bereich“ verblieb, konnte nicht mehr eruiert werden. Spät in der Nacht – oder war da doch schon das Morgenrot zu sehen – geht dieses kleine Wiener Derby zu Ende. Selten war eine mediale Bezeichnung wie „Derby of Love“ treffender.

 

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Autor: admin

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