Bah, Humbug!
Marley war tot, damit wollen wir anfangen. Kein Zweifel kann darüber bestehen. Der Schein über seine Beerdigung ward unterschrieben von dem Geistlichen, dem Küster, dem Leichenbestatter und den vornehmsten Leidtragenden… Na, erkannt? Richtig, es ist der Beginn der wohl bekanntesten Erzählung von Charles Dickens: „A Christmas Carol“. Ja, es sind noch vier Monate bis Weihnachten, und ja, es ist zwar kühl geworden, aber noch nicht so kalt, dass man Wintergefühle bekommen könnte. Aber dennoch ist es passend, finde ich, und wenn Sie etwas Zeit haben, versuche ich es zu erklären.
Der Geist der Vergangenheit
Der Winter scheint bei manchen Entscheidungsträgern eingekehrt zu sein. Zumindest dürfte es bei so einigen tief herunter geschneit haben. Anders ist die Posse um den Spielort und die – was für eine unberechenbare Überraschung – zu erwartenden Zuschauerzahlen nicht zu erklären. Das erste Westderby seit 3758 Tagen. Mädels, die damals schwanger das torlose Remis verfolgten, mussten sich mit ihrem Kind bereits Gedanken machen, ob die Neue Mittelschule oder doch das Gymnasium die bessere Ausbildung böten. Andreas Hölzl, der junge 20jährige offensive Mittelfeldspieler des damaligen FC Wacker Tirol, war eben erst von seiner Leihe vom SV Wörgl zurückgekehrt und absolvierte sein 9. Bundesligaspiel, seine 324. Spielminute in der höchsten Liga. Die Kinder liefen Schni-Schna-Schnappi-singend durch die Gegend, Teenager entdeckten erst eine ostdeutsche Band namens Tokio Hotel, die im Herbst mit „Durch den Monsun“ die Charts stürmen sollten. Und gerade eben, im Nachtragsspiel für Runde 23 der Saison 2004/05, wurde von der Bundesliga erstmals eine neue Bestrafung für Vereine und ihre Fans angewandt: das sogenannte „Geisterspiel“. Dem Umfeld des FAK zuzurechnende Trotteln, verzeihen Sie mir den Ausdruck, hatten im Spiel gegen den GAK beim Stand von 0:3 den Platz gestürmt. Und da man eine Geldstrafe (€ 50.000) und Rückreihung bei Punktegleichheit nicht für ausreichend hielt und damit auch nur den Verein, nicht aber direkt die Anhänger traf, beschloss man, das Nachtragsspiel gegen Pasching vor leeren Rängen austragen zu lassen. Man traf damit zwar auch die Oberösterreicher, aber gerecht strafen ist schwierig. Oder wie Ebenezer Scrooge sagen würde: „Bah, Humbug.“ Vier Tage vor dem bisher letzten Westderby war ein junger Spieler namens Thomas Pichlmann nach seiner Einwechslung für Edi Glieder live dabei im ersten österreichischen Geisterspiel, das sogar wirklich ein Gespenst auf der Tribüne sitzen hatte. Ein Fan hatte sich ein Leintuch übergeworfen und tanzte auf der verwaisten Tribüne…
Der Geist der Gegenwart
Vergangen sind die Westderbys der großen Salzburger Austria gegen den mächtigen Verein aus Innsbruck. Vergangen die letzten 15 Ligapartien, in denen die Violetten nie als Sieger vom Platz gingen, Innsbruck 10mal zu-Null spielte. Vergangen das unglaubliche 9:0 vom Mai 1982, als der derzeitige Tormann-Trainer Fuad Djulic Tore von Gretschnig (2), Weigl, Schenk, Koreimann, Braschler, Gröss (2) und Linzmaier in einem Spiel ohne Karten bejubeln durfte. Vorbei aber auch der Kampf im ÖFB-Pokal, in dem meist die Austria erfolgreich blieb. In 8 Aufeinandertreffen gewann Innsbruck nur zweimal, beide Male wurde man Cupsieger. In den restlichen sechs Partien musste man aber 15 Gegentreffer hinnehmen. Vorbei. Die Gegenwart ist Liga zwei, die Gegenwart ist ein Verein, erst im Entstehen begriffen und ohne Infrastruktur, auf der Suche nach seinem Platz im Profifußball hier, ein Verein mit der harten Erkenntnis der Realität, dass Spitzenfußball in Tirol scheinbar doch nur mit einem Mäzen namens Gernot Langes-Swarovksi, mit Schulden oder mit kriminellen Machenschaften möglich ist, dort. Und dennoch strahlen beide Gesichter: der Aufsteiger hat sich bisher nicht schlecht präsentiert, 8 Punkte und 11 Tore nach sechs Runden sind aller Ehren wert. Entscheidend dafür sicherlich die Leistung des Ex-Innsbruckers Ernst Öbster, der mit 4 Assists (Liga-Spitzenwert) und 2 Toren nur einen Scorerpunkt hinter Thomas Pichlmann auf Platz zwei rangiert. Ein gröberes Problem ist allerdings noch in der Defensive zu finden, denn auch 11 Gegentreffer stehen bereits zu Buche, nur die Floridsdorfer mit ihren sechs Niederlagen und die Hurra-Fußball praktizierenden Lieferinger Nachwuchskicker mussten mehr hinnehmen. Auch Innsbrucks Gesicht strahlt, völlig unerwartet geht man als Tabellenführer in das Westderby, ist die Torfabrik der Liga mit der stärksten Defensive. Und nicht zuletzt gewinnt Wacker derzeit auch Spiele, in denen man eigentlich planlos und unterlegen war. Gegen Lustenau hatten die Schwarz-Grünen nur 37% Ballbesitz, brachten nur 59% ihrer Pässe an den eigenen Mann, aus dem Spiel heraus wurden 11 Flanken weniger abgegeben, die Lustenauer Offensive musste mit 19 Fouls eingebremst werden – und dennoch war es Aluminium und ein falsch eingestelltes Vorarlberger Visier, das Innsbruck die Punkte 11 bis 13 bescherte.
Der Geist der Zukunft
„Bah, Humbug!“, würde Scrooge sagen, erführe er vom kommenden Spiel. Bisher war ein Geisterspiel eine Bestrafung für ein Fehlverhalten einer Fangruppe, und zwar für ein massives Fehlverhalten. Es brauchte etwa den Platzsturm der Austrianer aus Wien 2005, um ein Spiel ohne Publikum aufgebrummt zu bekommen. Auch 2011 waren die Favoritener vor Ort, als Hütteldorfer samt einem Griechen einen Abbruch erzwangen. Für diese exzessive Bedrohung von Spielern, Unterbrechung des Spiels und Feuern von Pyrotechnik mitten in den violetten Sektor gab es exakt ein Geisterspiel. Nunmehr muss sich die Bundesliga eingestehen, bei ihrer Lizenzierung wohl nicht genau gearbeitet zu haben, als das Stadion Schwanenstadt für Risikospiele zugelassen wurde. Oder man hatte zumindest die Rechnung ohne das Aufsichtsorgan der BH Vöcklabruck gemacht. Sicherlich, es gab in der Vergangenheit einige Konflikte mit einer Handvoll geistigen Einzellern aus Salzburg, und ja, auch die gegen violette Schweinderln hetzenden Hornochsen aus Innsbruck hätten sich in Wortwahl der Gegenwart und Verhalten der Vergangenheit einiges besser überlegen sollen. Ein überlegteres Herangehen an das Derby und ein klares Abgrenzen zu Freunden der dritten Halbzeit (wenn schon ideologisch für manche nicht möglich, dann zumindest räumlich, nicht in Stadion und Umfeld wie bei Amateur-Partien in der RLW) wäre dringend notwendig gewesen. Doch völlig neu ist nun die Herangehensweise „Bestrafung vor Delikt“. Werden in der bei uns gültigen Jurisdiktion Präventivstrafen sowie Sippenhaftung völlig zu Recht abgelehnt, wird hier das Publikum zweier Vereine a priori und in der Gesamtheit zu potentiellen Tätern abgestempelt und vom Spiel ausgesperrt. Ist auch der Wunsch, eine Entscheidung auf sportlichem Weg zu suchen, zu unterstützen, muss der Ausschluss der Sympathisanten von Austria und Wacker doch kategorisch abgelehnt werden. Denn damit stirbt wieder ein kleiner Teil dessen, was Fußball ausmacht. Oder, wie Scrooge sagen würde: „Bah, Humbug!“ Ebenezer lernt jedoch aus dem Blick in die Zukunft. Ob dies in Österreich auch der Fall sein wird, muss bezweifelt werden…