Skip to main content

Oho, Vorarlberg

90 Minuten bräuchte man, um die Hymne Österreichs zu verdauen, meinte einst Hans Krankl. Der muss es ja wissen, unter ihm gelangen der Nationalmannschaft in 16 Pflichtspielen nur sechs Siege. Man könnte meinen, die Bundesliga setzte auch auf Hymnen, in Innsbruckern erreichte der Goleador mit einem Millionenkader auch nur 15 Siege aus 36 Spielen – und auch derzeit erklingt kein „Tongefüge“ (das meinte der Grieche, wenn er hymnos sagte) vor den Spielen der Ersten Liga. Dabei hätten gerade unsere nächsten Gäste aus Vorarlberg – neben ihrer heimlichen Hymne (https://youtu.be/5-68XIgYWP4?t=15s) – ja eine feine Auswahl an Liedern anzubieten.


„Wo golden glühen steile Berge…“

Hymnen müssen ja nicht immer das halten, was sie versprechen. Es geht um ein Idealbild, es wird mit Worten gemalt. Da ist es auch schon ganz in Ordnung, wenn man als Rheintaler von den steilen Bergen spricht. Die Berge, die kühn nahe Lustenau stehen, sind die der Schweiz. Jener Schweiz, die damals, 1919, als Vorarlberg die Verwaltung von Tirol getrennt hatte und sich auf eigene Beine stellen wollte, „s’Ländle“ ablehnte und einem Beitritt des „Kanton Übrig“ eine Abfuhr erteilte. Da war die Fußballabteilung des Turnerbundes Lustenau gerade mal fünf Jahre alt, vier Jahre davon war man auf Grund des Krieges nicht aktiv gewesen. Und es dauerte auch noch ein Weilchen, bis man die ersten goldenen Sporen verdient hatte, 1930 erfolgte mit dem Titelgewinn in Vorarlberg und dem Finaleinzug in der Amateurmeisterschaft der erste wirkliche Erfolg – als Bester im Westen. In der Landesliga hatte man den FC, den ewigen Stadtrivalen, hinter sich gelassen, im Semifinale der überregionalen Meisterschaft den Innsbrucker AC ausgeschaltet. Wacker befand sich da noch ein paar Jahre in einem Dornröschenschlaf, der geteilte Landescup-Sieg nach zwei Remis 1930 – es gab ja noch kein Elfmeterschießen – kann da als einziger wirklicher Erfolg verbucht werden.
Lustenau wurde 1936 endlich grün-weiß, endlich die Austria, aber noch lange nicht erfolgreich. Es dauerte, bis man die golden glühenden steilen Berge erreichte. 1994, als Meister er Regionalliga West, gelang mit dem Aufstieg in die 2. Division der Sprung in den Profifußball, 1997 wurde gar die höchste Klasse erklommen. Zeitweilig zumindest, denn schon nach drei Jahren ging es zurück in die 2. Division, in welcher man sich zum Fixinventar und jährlich wieder ernsthaften Konkurrenten entwickelte, ohne jemals wieder den Meistertitel feiern zu dürfen. Beinahe hätte sich ja dennoch das Funkeln des Goldes in den Augen der Lustenauer widergespiegelt, doch im Finale des ÖFB-Pokals scheiterte die Austria an der SV Ried. Das Happel-Stadion aber war fest in Grün-Weißer Hand, viele Einwohner dürfte der Reichshof an diesem Tag wohl nicht mehr gehabt haben: „Du Ländle, meine teure Heimat, ich singe dir zu Ehr und Preis…“
 
„Oft waren wir schon in der Ferne…“

Allzu viel Preis und Ehr gibt es derzeit allerdings noch nicht zu bejubeln. Nach fünf Spielen musste die Austria zwar erst eine Niederlage verbuchen, durfte aber auch nur zwei Siege bejubeln. So richtig in die Gänge sind die Grün-Weißen noch nicht gekommen. Und dann geht es auch noch in die Ferne. Vorarlberger verlassen ja ungern ihre Heimat, das gilt auch für die Fußballer aus Lustenau. Im Schnitt verbuchte man in den letzten fünf Jahren sieben Siege in der Ferne, der FC Wacker konnte in der abgelaufenen Saison deren 11 sein eigen nennen. Blöd allerdings, dass das Tivoli nicht weit genug vom Reichshofstadion entfernt liegt und die Vorarlberger sich wohl durch die Studentencommunity in Innsbruck gar nicht so fern der Heimat fühlen – zwei der vier letzten Spiele Innsbruck-Lustenau an der Sill gingen an die Ballesterer aus dem Ländle, in keinem dieser vier Heimspiele konnte Wacker mehr als ein Tor erzielen. Mehr noch, in keinem der letzten acht Duelle gab es mehr als einen Tiroler Treffer zu bejubeln, sieben geschossenen Toren stehen zehn Treffer der Vorarlberger gegenüber. Gut, in den Heimspielen der Ersten Liga scorten die Innsbrucker stets zumindest einmal, 17 Tore in acht Spielen täuschen aber etwas über die Stärke, gingen ja drei dieser acht Spiele verloren. Und noch etwas macht dieses Spiel gegen die Vorarlberger brisant: sie sind Stehaufmännchen. Noch nie gingen sie in dieser Saison mit 1:0 in Führung, dürfen aber dennoch schon acht Punkte ihr Eigen nennen. Acht Tore haben die Grün-Weißen bereits erzielt, am drittmeisten der Liga – in Hälfte eins wurde bislang erst ein einziges Tor erzielt, 88% der Treffer fielen im zweiten Durchgang. Ginge es nach dem Pausenstand, Lustenau hätte erst drei Punkte verbucht, doch die Austria beliebt, ihre Gegner zu ärgern, sie in Sicherheit zu wiegen, um dann gnadenlos zuzuschlagen. „Klein aber oho, hollodrio…“
 
„Und a Völkle fromm und wacker…“

Wacker kämpfen ist aber nicht nur eine Tugend der fleißigen Vorarlberger, sonder auch der arbeitsamen Tiroler. Das Spiel gegen Liefering gab zumindest wieder etwas Hoffnung, auch wenn noch viel Arbeit ansteht, um den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Doch die jüngste Innsbrucker Startelf des Jahres 2016 schlug sich – bis auf einen erneuten dummen Individualfehler – recht gut im Kampf gegen den bisherigen Tabellenführer. Simon Pirkl durfte über seinen ersten Treffer jubeln, Florian Jamnig lieferte seine erste Torvorlage und begibt sich damit auf die Spuren der abgelaufenen Saison, als er der beste Assistgeber der Schwarz-Grünen war. 60,2% gewonnene Zweikämpfe waren wohl ein Schlüssel zum Punkt gegen eine Mannschaft, die den Ballbesitz dominierte und eine deutlich bessere Passquote aufwies. Die Zweikämpfe wurden an den Seiten geschlagen, Alexander Riemann mit 18 und Florian Jamnig mit 16 waren die aktivsten Duellanten, die effektivsten aber der zuletzt vielgescholtene Harald Pichler mit 100% und Michael Schimpelsberger mit 80% gewonnen Aufeinandertreffen. Wie nebensächlich allerdings Zahlen sind, zeigte Lustenaus letztes Spiel in der Fremde gegen die Blau-Weißen aus Linz: 72,4% Ballbesitz, 82,1% Passquote, 52,5% gewonnene Zweikämpfe, fünf Eckbälle mehr – und dennoch steht aus diesem Spiel nur ein Punkt zu Buche. Das schönste am Spiel war die Heimfahrt. „Grüaß di Gott, mi subers Ländle…“.
 
„Und uns kommen fascht die Tränen…“

Nebensächlich wird Fußball auch, wenn man das Foul an Julian Wießmeier gesehen hat. Der zweifache Lustenauer Torschütze, der im vergangenen Spieljahr mit 15 Treffern drittbester der Liga und erfolgreichster Austrianer war, muss nun den Rest der Saison vom Krankenbett, der Reha und der Tribüne aus verfolgen, nachdem ihm Waden- und Schienbein gebrochen und die Bänder gekappt wurden – in einem Foul, das ohne Verwarnung blieb. Gute Besserung, Julian!

 

 

Avatar photo

Autor: Stefan Weis

Dieser Text stellt geistiges Eigentum des tivoli12 magazins dar und ist somit urheberrechtlich geschützt. Um den Text, oder Teile davon nutzen zu können, setzen Sie sich bitte mit dem tivoli12 magazin in Verbindung.
Skip to content