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Beglücktes Häuflein Brüder

Schon klar, es trifft hier die WSG auf Wacker. Es ist keine epische Schlacht, bloß die 12. Runde in der zweithöchsten Spielklasse. Und doch ist irgendetwas anders. Die Wattener haben Lunte gerochen und wähnen sich schon auf Augenhöhe, die Medien sehen Innsbruck dem Ende zutaumeln, fordern Fusionen und erliegen, Fakten ignorierend, blindlings dem Charme einer Blondine. Trainer kasernieren „ihre Jungs“ und sprechen vom letzten Aufgebot – ein beglücktes Häuflein Brüder, wer sich Freitagabend zu den Außerwählten zählen darf. Oder doch nur eine alles überdeckende St.-Crispians-Rede (http://gutenberg.spiegel.de/buch/konig-heinrich-der-funfte-2175/21).

 
Old men forget, yet all shall be forgot

Shakespeare war schon ein Mann mit Verstand. Und Verständnis für die Eigenart der Menschen. Als Engländer und Franzosen, eigentlich Bruderstaaten durch die gemeinsame Geschichte, sich 1415 wieder einmal im Feld gegenüberstanden, hielt Heinrich V. von England am Crispianstag vor der Schlacht von Azincourt eine Ansprache an seine Soldaten. 200 Jahre später griff Shakespeare diese auf, machte eine „rousing speech“, eine Brandrede, daraus – man könnte meinen, er hätte die Tiroler Medienlandschaft verfolgt. Wenn Thomas Silberberger die Wattener Truppe vor dem Spiel „zusammenzieht“ und „kaserniert“, vor einem Spiel zweier geographischer Nachbarn ohne Derby-Historie, deren medienvirtuelle Feindschaft erst seit weniger als einem Jahr vorhanden ist, dann scheint hier ein zu Übertreibung neigender Schriftsteller seine zynische Feder nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Man lobt die Grün-Weißen für ihre Taten und ihre Spiele, in denen sie beinahe Punkte und fast einen Sieg geholt hätten und übersieht dabei, dass der Aufsteiger genau dort steht, wo man ihn erwartet hat, dabei aber gleichzeitig die zweitwenigsten Siege und das zweitschlechteste Torverhältnis aufweist, weil man auch am zweitwenigsten Tore geschossen hat. Wattens hat seit exakt acht Runden, seit der Begegnung gegen Wacker, nicht mehr gewonnen, dabei aber fünfmal keinen Treffer erzielen können. Seit dem Derbysieg wurden nur viermal gescort, viermal sooft jubelte der Gegner über 16 Erfolge gegen die Unterinntaler Offensive. „Die Alten sind vergesslich“, lässt Shakespeare King Henry sagen, und die Vergesslichkeit bezieht sich nur auf das, was man nicht wissen will.
 
The fewer men, the greater share of honour

Ein „Dreckiges Dutzend“ gegen ein „Luxusproblem“, so schreiben es die Medien. Und meinen dabei den Ausfall von Svejnoha, Mörck und Mansour auf Seiten der WSG, während bei Innsbruck Siller und Tekir auf der Ausfallsliste stehen, aber trotz ihrer hervorragenden Leistungen, welche nicht zuletzt den Sieg brachten, vernachlässigbar erscheinen. Neun Runden früher bot sich ein völlig anderes Bild, Wacker musste auf Dominik Baumgartner, Andreas Hölzl, Jürgen Säumel und Christoph Freitag verzichten, vier etatmäßige Stammspieler in dieser Phase der Meisterschaft. Claudio Holenstein gesellte sich noch in Halbzeit eins des letzten Aufeinandertreffens hinzu, doch der Kader der Innsbrucker musste das aushalten, so der einhellige Tenor auf der Pressetribüne. Meinte doch schon König Heinrich „Je klein’re Zahl, je größ’res Ehrenteil.“. Und jammern tun die Schwarz-Grünen schon genug, über fehlende Gestaltungsmöglichkeiten im Stadion, über das Catering, über die Trainingsmöglichkeiten und die Art der Zusammenarbeit in Fußball-Tirol. Warum Vergleichbares dem Heerführer aus Wattens erlaubt ist, steht in einem and’ren Buch geschrieben. „The fewer men…“ scheint derzeit auch den vor Ort Besuch der Spiele zu betreffen, die langwierige Krise der Innsbrucker wirkt sich dabei ebenso aus wie die ungünstigen Spielzeiten. Ist Freitag 18:30 für viele schon ein Problem, verunmöglicht der Dienstag für den Großteil der potentiellen Kundschaft den Stadionbesuch. Das Derby nicht mit einbezogen, sahen bislang im Schnitt 2044 Unverdrossene den wackeren Spielern auf die Beine, zwei von fünf Spielen waren ein Dienstag. 1560 Zuschauer waren es im Gernot-Langes-Stadion, kein einziger Dienstag dabei und spannender Weise bei allen fünf Spielen Zahlen mit einem geraden Hunderter – man kommt nur in Zenturien… Die 16 Kilometer zwischen Innsbruck und Wattens scheinen auch dramatische Auswirkungen auf den Einzugsbereich zu haben, knapp über 9000 Besucher beim letzten Mal waren, naja, halt nicht so viel wie früher, derzeit 4200 im Vorverkauf sind aber „ein Traum“. Tja, schon Shakespeare wusste mit den Zahlen zu jonglieren und machte aus einem Kampf auf Augenhöhe zwischen England und Frankreich ein Verhältnis 1:5 – „…the greater share of honour“.
 
This story shall the good man teach his son

Nicht nur Kreisky forderte zum studieren der Geschichte auf, auch Shakespeare ließ Heinrich an St. Crispian diese Worte sagen. Und recht haben sie, beide. Denn sooft auf die Geschichte verwiesen wird, sooft wird sie falsch gebracht. Beispiele? Der Kopf des Tages in einem heimischen Medium absolvierte vermeintlich sein erstes Spiel im Dress des blau-weißen Marketing-Konzepts am Tivoli. Vermeintlich, denn Hörtnagl kickte zuvor noch eineinhalb Jahre in Schwarz-Grün mit Legenden wie Arnold Koreimann, Kurt Welzl, Alfred Roscher oder Hugo Hovenkamp. Spielgemeinschaften werden Fusionen, ein geographischer Name zum Heilsbringer – und man vergisst, dass nur ein Name der finanzielle Heilsbringer war: Gernot. Ihm gebührt am Freitag tosender Applaus und Sprechgesänge, sollte er im Stadion sein, denn die Finanzierung des Vereins war, abseits eines völlig anderen, abgeschotteten Marktes in der Vor-Bosman-Ära, zu einem guten Teil ihm und einem korrekten Arbeiten des wackeren Vorstandes zuzuschreiben. Dass im Überschwang der Gefühle dann in Zeitungen Gernot zum Sohn von Daniel Swarovski mutiert und Daniel trotz seines Todes 1956 in einem Online-Lexikon noch bis 1967 die Geschicke des Vereins führte – schriftstellerische Freiheit und literarisches Stilmittel. Und Phantasie beflügelte schon stets die heimische Medienlandschaft, fand man doch bereits 1971 im Zuge der Spielgemeinschaft von Wacker und der WSG eine unglaubliche Fülle von Vereinsnamen wieder: SPG Wacker Wattens, FC Swarovski Innsbruck Tirol und auch schon FC Tirol. Die besonnen Akteure der beiden Vereine behielten einen kühlen Kopf, Wacker blieb erhalten, Innsbruck hieß die Mannschaft. „Der wackre Mann lehrt seinem Sohn die Märe“, sagt Shakespeare. Nur so kann den faktenfreien Blüten entgegengetreten werden.
 
We few, we happ few, we band of brothers

Doch letztlich geht es am Freitag doch nur um Fußball, um ein Spiel, um drei Punkte. Hier wird nicht die Zukunft entschieden, hier findet keine Schlacht statt. Nur ein Spiel unter Freunden, eine Begegnung unter Brüdern. Und wer auch immer nach dem Spiel die Finger zum Victory-Zeichen in die Luft streckt, er wird es aus Freude tun und nicht, um – wie damals, 1415, die englischen Langbogenschützen – zu zeigen, dass er die Schlacht ohne Verstümmelung durch den Feind überlebt hat. Denn es gibt keine Feindschaft zwischen Wattens und Innsbruck, es gibt nur „uns wen’ge, uns beglücktes Häuflein Brüder.“.

 

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Autor: Stefan Weis

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