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O Captain! My Captain!

Abschied schmerzt. Fast immer. Und dieser tut besonders weh, denn es geht nicht irgendwer. Sondern ER. Es geht hier ganz bestimmt nicht um Horn, das seine Lizenz noch im letzten Augenblick erhalten hat. Das sich finanziell vom Gängelband aus Japan gelöst hat, jetzt aber ungesichert über dem Abgrund schwebt. Das sich nun sportlich einzigen Abstiegsplatz befindet und im Spiel gegen Schwarz-Grün dringend Punkte benötigt. Einerlei. Alex Hauser verlässt den FC Wacker Innsbruck.

 

Leaves of Grass

Außerhalb der Vereinigten Staaten ist Walt Whitman einer breiten Masse wohl nur durch ein Zitat bekannt, das im Film „Club der Toten Dichter“ wiedergegeben wird. Sein Lebenswerk war aber „Leaves of Grass“ – „Grashalme“. Fast vierhundert unterschiedlich lange Gedichte, Gedichtzyklen, verfasst in einem kraftvoll optimistischen Grundton. Das Leben des Alex Hauser war bislang auch der Grashalm. Der eine Grashalm, auf dem sein Fuß Standfestigkeit suchte, wenn er im Zweikampf seinem Gegner den Nerv zog. Wie etwa in dieser Saison bereits in 216 Duellen, von welchen er 119 gewann. Oder im vergangenen Jahr 313mal mit 173 erfolgreichen Abschlüssen. 392mal vor zwei Jahren, 349mal vor drei. Und der Captain ist in diesen Jahren wie guter Wein gereift, er steigerte seine Erfolgsquote von 46,99% über 49,99% auf aktuell über 55%. Der eine Grashalm bestimmte auch seinen Alltag, wenn er darauf Halt suchte bei kraftvollen Antritten über die linke Seite. Mit nur 32 Jahren ist der Captain vielleicht nicht mehr der schnellste, was vor allem im defensiven Bereich die jungen Wilden aus Liefering spüren ließen. Aber dennoch gewann er auch in dieser Saison noch 61,04% seiner Laufduelle, mehr als in den Saisonen 2013-2015, als die Werte nicht über 54% kamen. Der eine Grashalm war es auch, der dem Spielgerät die perfekte Auflage gab, wenn der Captain den Ball nicht nur in die Mitte des Spielfelds zirkelte, um seine Mitspieler zu bedienen, sondern ihn auch direkt im Tor versenkte. 11mal geschah dies in der höchsten Spielklasse, 10mal in der zweithöchsten. 12 dieser Tore bejubelte Wacker mit Alex Hauser, zusätzlich zwei im ÖFB-Pokal.

The port is near, the bells I hear

In der Freude über Tore, die beim Captain immer eine unbändige war, so wie auch sein Kampfeswillen selbst in ausweglos scheinenden Situationen, in dieser Freude sieht man es ihm auch nach, dass er Innsbruck erst spät gefunden hat. Erst, nachdem er auf fremdem Bord gedient hatte, und dabei in acht Duellen mit Schwarz-Grün auch zweimal als Sieger vom Platz gegangen war. Auch, wenn er 2009 mit Wiener Neustadt als erster in den Hafen einfuhr und die Glocken klingen hörte, den Meistertitel feiernd, den man mit genau jenen Punkten Vorsprung feiern konnte, die man in den Duellen mit Wacker errungen hatte. Und selbst bis Wiener Neustadt war es für den Captain als kleiner Schiffsmaat ein langer Weg. Von St. Johann über das BNZ und die Spielgemeinschaft der Amateure des FCT mit dem ISK zog es den gar nicht so großen, 1,77cm langen 16jährigen in den Nachwuchs des Serienmeisters aus Glasgow. Also des einen, blau-weißen, protestantischen der Rangers. Zwei Jahre Schottland brachten viele Erfahrungen, doch Spielpraxis erfuhr der nunmehrige Bootsmann in Österreich. Naja, in dem, was die Schweiz den Österreichern gelassen hat an alemannischem Erbe. Also am Bodensee bei Schwarz-Weiß. Pasching, Schwanenstadt, Hartberg, Kärnten, der Bootsmann Hauser kam herum im Alpenland, bevor er dort anheuerte, wo er Captain wurde. Dort, wo er einen Meistertitel an alter Wirkungsstätte in Pasching feiern durfte. Dort, wo 237 wunderschöne und furchtbar bittere Spiele folgten, in denen der Capitain Schwarz-Grün trug. 121mal höchste Liga mit Wacker, 110mal davon in der Startelf. 9691 Minuten Bundesliga, 27 Gelbe Karten und eine Saison mit gleich zwei Gelb-Roten, die das ungestüme Kämpferherz des Captain stoppen mussten. Trotz der unzähligen Duelle wurde er mit dem heurigen Ausschluss im Innsbrucker Dress nur dreimal vom Platz gestellt, davon jedoch niemals direkt. Es war meist ein Gentlemen’s Fight, wenn der Captain in den Zweikampf ging. Oder ein Versehen, wenn beim Kopfball ein bemitleidenswerter Gegner Bekanntschaft mit dem Unterländer Eisenschädel machen musste. Die Statistik wirft hier keine Daten aus – doch wie oft ist der Captain den Kopf reibend aufgestanden und weitergetrottet, während sein Gegner der Schwerkraft verhaftet blieb. „O the bleeding drops of red, where on the deck my Captain lies“, würde Whitman schreiben. Aber nicht unseren Captain meinen.

Exult, O shores, and ring, O bells!

Wenn der Captain von Bord geht, dann haben die Küsten zu jubeln, die Glocken zu klingen. Denn es gab nur wenige Kämpferherzen wie ihn in den letzten Jahren. Es mag die einen geben, die rational analysieren, weshalb ein Alex Hauser nicht mehr in eine Mannschaft 2017/18 passen mag. Es mag die geben, die darauf deuten, dass das Spiel ja Bedeutung hat, für Horn, für die Zusammensetzung der nächsten Saison. Doch was interessieren mich Zahlen, was Horn? Was kümmert es mich, dass Innsbruck in allen Heimspielen gegen Horn ungeschlagen blieb? Was, dass die Niederösterreicher aus Eckbällen die zweitgefährlichste Mannschaft der Liga ist (8 Tore)? Was, dass Wacker das zweitgefährlichste Team aus Standards ist (19 Tore)? Was, dass die Tiroler in den letzten vier Heimspielen immer doppelt getroffen haben und Patrick Eler in den letzten sechs Spielen immer gescort hat? Was, dass der Captain in sechs Spielen gegen Horn nie als Verlierer vom Platz ging? Dass er ein Tor gegen die Blau-Weißen erzielen konnte? Dass, wenn er am Platz stand, Horn kein Tor gegen Innsbruck erzielen konnte und in den sechs Spielen warten musste, bis er ausgewechselt wurde, um zu scoren? Es ist alles einerlei. Der Captain geht von Bord. So, wie sich der Stellenwert der Lyrik nicht durch bloße Analyse von Versform, Reim, Ausdrucksweise oder gar einer abstrakten Maßzahl bestimmen lässt, kann der Wert eines Captains nicht durch bloßen Zahlen und Daten gemessen werden. Es ist mehr.

O Captain! My Captain!

Man muss sich manchmal auf einen Tisch stellen, um alles aus einer anderen Perspektive sehen zu können. Solche Tische fehlen, im Alltag wie im Sport. Ach, hätte das Tivoli doch nur Tische, auf die man sich stellen könnte. Das Stadion könnte den Captain bei seiner Verabschiedung so würdigen, wie er es verdient hätte.

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Autor: Stefan Weis

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