Beef, Tatar!
Wenn der weiße Rausch des Winters in der Frühlingssonne verschwindet und die kollektive Benebelung durch den Skisport sich langsam auflöst, werden aus Herr und Frau Österreicher wieder Fußballexperten. Manche sagen gar Teamchefs. Die Statistik Austria weist derzeit 8,77 Millionen davon aus. Und eine breite Masse davon war sich noch vor wenigen Wochen einig, der eigentliche Teamchef entspringt dem Mainzer Fasching, nicht der Rheinländischen Fußballkultur. Dieselbe Masse nebenbei, die nun davon singt, die Mannschaft wäre am Wege zu einem neuen Höhenflug. Drei Siege in Folge gegen Staaten, die zusammen so viele Einwohner haben wie Papua-Neuguinea. Oder das aktuelle Österreich unter Kaiser Franz Joseph selig vor über 100 Jahren. Einer, der in diesen Situationen allgemeiner Enthusiasmierung stets kühlen Kopf bewahrt, ist Alfred Tatar, der Experte des Ligasponsors. Seine bedachte Zurückhaltung sollte derzeit für Innsbruck Vorbild sein, wenn man als Tabellenführer gegen Liefering antritt, denn „wenn du glaubst, es geht jetzt mehr, kommt von irgendwo ein Dämpfer her.“. Meint Tatar.
Ach, Gutenberg!
Denn die Verlockung, sich von den letzten Wochen blenden zu lassen, ist groß. Ungemein groß. Der FC Wacker ist das einzige Team der Liga, das aus den letzten vier Spielen die volle Punktezahl mitnehmen konnte. Mehr noch, die einzige Mannschaft ohne Niederlage im Jahr 2018. Vier Spiele reichen, um in dieser Statistik oben auf zu sein, dabei könnte Innsbruck noch mehr bieten, nämlich eine ganze Saison (und noch mehr) ohne Niederlage am Tivoli und derzeit 8 Spiele ohne Niederlage. Alfred Tatar würde hier nur ruhig schauen, vielleicht etwas den Kopf schütteln über die Statistikgläubigkeit und so etwas sagen wie „Manchmal muss man Johannes Gutenberg verurteilen, der damals den Buchdruck erfunden hat. Und die direkte Linie zur heutigen elektronischen Schrift ist gegeben. Also besser, er hätte diese Erfindung damals nicht getätigt, weil es wird heute so viel Blödsinn veröffentlicht, das hält man nicht aus.“. Oder er würde mit Mag. Thomas Janeschitz, dem Mathematiker, konkurrieren, ein geringes Datenmaterial reklamieren und „nichtparametrische, parametrische Statistik“ monieren. Und er würde darauf verweisen, dass vor 8 Spielen ohne Niederlage ein neuntes mit Niederlage gewesen sein müsste. Und ja, da war ein Spiel, auswärts in Grödig, gegen Liefering. Und eine Ballsicherung von Simon Pirkl nach Passversuch David Atanga. Aber auch direkt darauf ein Ballverlust von Pirkl, Patson Daka gibt kurz ab auf Samuel Tetteh – die Ghana-Sambia-Connection erzielte das 1:0.
Keine 10 Zentimeter!
Eine Verbindung, die den eigentlichen Kern Lieferings zeigt: für den Limonadenfabrikanten und seine Branchen in Leipzig und Salzburg junge Talente aus der ganzen Welt zu holen, etwa aus Afrika. „Da weiß man, da hat jemand etwas gestrickt, das einmal ein Pullover sein wird, der einem nicht mehr passen wird.“, sagt Tatar. Der Pullover trägt zwar immer den roten Stier, die Spielstätten liegen aber immer weiter nördlich. Atanga etwa lernte bei Red Bull Ghana, dem mittlerweile gescheiterten Akademieversuch in Sogakope, spielte diese Saison nicht nur bei Liefering in der zweiten Liga, sondern schnupperte auch siebenmal Bundesliga-Luft für Salzburg und aktuell St. Pölten, kickte im Cup für die Bullen ebenso wie in der Europa League gegen Marseille. Daka kickte bei den von Kupferminen gesponserten Nchanga Rangers aus Chingola, wechselte zu den von den Streitkräften unterstützten Green Buffaloes aus Lusaka und debütierte mit 14 Jahren in der höchsten sambesischen Spielklasse. Nationalteam, Afrikameisterschaften – die Scouts mit dem roten Stier am Revers wurden aufmerksam und holten ihn nach Österreich. In dieser Saison stehen neben 13 Spielen in der Ersten Liga auch zwei Cup-Partien, sechs Bundesliga-Auftritte und zwei Euro-League-Spiele für die „Großen“ im Lebenslauf. Und Torschütze Tetteh? Nachdem RedBulls Akademieversuch nach der Übernahme der Soccer School of Lavanttal des aktuellen WAC-Präsidenten Dietmar Riegler 2013 als gescheitert erachtet wurde, übernahm man von Feyenoord 2014 deren Akademie und nannte sie West African Football Academy. Aus dieser kommt Samuel Tetteh, der seit dem Winter in der Bundesliga für den LASK kickt, leihweise. Und erfolgreich, in sieben Spielen drei Tore und drei Vorlagen. Der Ghanese durfte sein Können aber vorher schon auf größerer Bühne beweisen, für Salzburg im Cup gegen Bad Gleichenberg wie auch in der Europa League gegen Vitoria Guimaraes. Da scheint der Schritt von den unteren in die oberen Ligen gar nicht so groß zu sein. Oder, wie Alfred Tatar weiß: „Keine 10 Zentimeter!“.
Wow, Wau!
Auf solche Talenteschmieden, auf solche Infrastrukturen kann Wacker nicht zurückgreifen, dennoch steht man an der Tabellenspitze. Man sollte sich aber von den Ergebnissen auch nicht blenden lassen. Sicherlich, die Innsbrucker bewiesen mentale Stärke. Man lag gegen Ried zurück und gegen Wattens, auch Lustenau war in Führung gegangen. Die Tiroler „hatten Mut. Und Eier wie Wassermelonen“, würde Fredi sagen. Aber er würde auch darauf verweisen, dass es nicht bloß Spielstärke war, nicht Überlegenheit und Können, die alle diese Spiele des Jahres 2018 für Innsbruck entschieden. Zu oft war hier das Glück ein enorm entscheidender Faktor. Wenn etwa recht unsichere Elfmeter gegeben werden und andere Pfiffe unterbleiben, wenn Tormänner danebengreifen oder Ballgewinne nach Einzelfehlern Spiele entscheiden. Tatar, der gerne davon spricht, dass alles harte Arbeit ist, Arbeit in den Beinen und in den Köpfen, würde hier dennoch sagen: „Es gibt sehr wohl Zufälle, wenn man ein Initialsystem hat, das dem entspricht, und das ist heute Fußball. Wenn wir im Universumsmaßstab reden, dann gibt es natürlich keine Zufälle.“. Nur, Innsbruck ist zwar eine Welt für sich, aber noch lange kein Universum. Und Zufälle werden das Spiel gegen Liefering bestimmen, denn die Jungbullen lassen sich nicht ausrechnen. Ihr Team verändert sich von Spiel zu Spiel, ihre Torgefahr ist aber immer gleich. Und ihr System? „Ich vergleiche das mit jungen Hunden. Was tun die am liebsten? Spielen.“ Na dann.
Sonne, Baby!
Die Ruhe, die Alfred Tatar verströmt, ist legendär. Seine Aussagen ebenso, etwa die der Barcelona-Anti-These. Sie führen manchmal zu hitzigen Diskussionen, ja beinahe einem richtigen Beef mit anderen Studiogästen. Oder zu fassungslosem Schweigen. Seit Tipp für englische Wochen, wie sie jetzt zu Ostern auch für den FC Wacker Innsbruck anstehen? „Ich halte mich frisch, indem ich sehr viel in der Sonne liege, Sonne baden tu, und überhaupt alles mit der Sonne. Wer sich vom Kuss der Sonne inspirieren lässt, lebt besser. Die Sonne küsst mich jeden Tag.“ Ja, dann.