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Alles relativ?

Es ist alles relativ. Der Cup, so sehr ich ihn auch mag, ist in Österreich relativ unbeliebt. Und trotzdem ist es gut, dass es ihn gibt, sagen manche, denn so kann Wacker Innsbruck endlich wieder gegen eine Mannschaft auf Augenhöhe antreten. Die Aussage ist dann relativ unhöflich, muss man sagen. Obwohl… Im Cup ist jeder Gegner Augenhöhe, ob jetzt Bundes- oder Regionalligist, also auch der SC Neusiedl.

 

Relativ neu

Neu ist auch so ein relativer Begriff. Das Stadion der Innsbrucker hatte schon die ersten Alterserscheinungen und durch den Umbau für die EM auch ein bisserl gelitten, und trotzdem wurde es als „Tivoli neu“ bezeichnet. Andere sagen noch immer „neues Feld“ zu ihrem Rasenstückchen, dabei ist das Camp Nou schon seit 61 Jahren bespielt. Und die Siedlung am See ist auch gar nicht mehr so neu, muss man sagen. Gut, der ungarisch Sumbotheil, also Samstagsmarkt genannte Ort wäre noch älter, wurde aber im 13. Jahrhundert durch die Mongoleneinfälle zerstört, beim Wiederaufbau erhielt der Flecken den Namen Niusidel. Ist also schon seit 736 Jahren relativ neu, also eigentlich alt. Relativ jung ist im Gegensatz dazu die Offensivkraft des SC Neusiedl. Nicht, weil man erst 2014 durch viel Glück wieder in die Regionalliga Ost aufstieg – Parndorf I stieg aus der Ersten Liga ab, Parndorf II durfte deshalb als Landesligameister nicht aufsteigen, Neusiedl schoss in der 93. Minute der letzten Runde gegen den direkten Konkurrenten den Siegtreffer und schob sich auf Platz zwei. Sondern weil die Sturmreihe im Schnitt 22,5 Jahre alt ist. Im Schnitt, denn ein 18- und zwei 19Jährige werden vom 34Jährigen väterlich betreut. Und dieser 34Jährige ist wohl auch die bekannteste Spielerpersönlichkeit bei den Neusiedlern: Osman Bozkurt, der Brederiser, also Rankweiler, den es an das andere Ende Österreichs verschlagen hat, spielte schon bei der Lustenauer Austria und der Admira, beim Sportclub und der Vienna, in der Heimat seiner Eltern bei einer Hand voll Zweitligisten, bei Wiener Neustadt, St. Pölten und Horn. Und bei sonst noch ein paar Vereinen. Relativ vielen also. In den letzten 11 Saisonen waren 13 Wechsel angesagt, da muss man daheim nicht unbedingt auspacken und kann aus dem Koffer leben. Sein Profidebüt, nebenbei, gab Osman gegen den FC Wacker, am 15. Juli 2003 beim torlosen Remis im Reichshof. Torlos, das aber eigentlich nicht sein Ding ist. Zwar traf er gegen Innsbruck in 12 Spielen nur zweimal, zuletzt am 2. Oktober 2009 im Dress der Vienna. In der Saison vorher war er aber Torschützenkönig der Regionalliga Ost mit gleich 26 Treffern, und auch in dieses Jahr ist er relativ stark gestartet. Sieben Tore und eine Vorlage in acht Ligaspielen, und auch das einzige Neusiedler Cup-Tor dieser Spielzeit.

Relativ nah

Im Cup ging es gegen einen Nachbarn. Also relativ, der wohnt jetzt nicht im Haus nebenan, aber weit weg auch nicht vom Neusiedler See. Der ja eigentlich kein See ist, meinen die Ungarn. Fertö-tó nennen sie Österreichs größtes Gewässer, das heißt „Sumpf“. Sauerei, eigentlich. Wobei, eigentlich stimmte das ja ziemlich lange. Und wer ist Schuld? Die Römer. Mit ihren Straßen, ihrer Verwaltung, ihren sozialen Leistungen und den Wasserleitungen, ihrem Militär. Und was haben sie uns sonst gebracht? Die Abholzung der wunderschönen dichten Eichenwälder rund um den See. Durch die Versteppung entstand die Pusztalandschaft und der Weinbau. Gut, dann haben sie auch den Wein gebracht, aber der See verschwand dafür ein bisschen später, so um das Jahr 1000. Und man sagte manchmal Sumpf, und manchmal Fluss dazu. Und die neue Siedlung hätte man deshalb auch Kagran nennen können. Das kommt nämlich von Wagram, und das bedeutet „Wellengrenze“, also Ufer. Was wollte ich eigentlich erzählen? Ah, genau, von Bozkurts Tor im Cup. Das war unspektakulär sondergleichen. Der Ball lag am weißen Punkt im Strafraum, Osman lief an und traf aus 11 Metern locker ins rechte untere Eck. Spektakulärer waren da die Saves seines Schlussmanns Schaufler, der 10 Minuten vorher einen Elfmeter parierte oder ein paar Minuten später einen durchbrechenden Stürmer locker den Ball vom Fuß stahl. Und falls Schaufler mal nicht das Tor hütet, kommt sein Ersatz zum Zug: Siebenhandl, Udo Siebenhandl. Der große Bruder von Jörg, des Goalies der Blackies aus Graz. Beide Siebenhändler sind bei der Admira groß geworden, also dem Nachbarn aus Maria Enzersdorf – der an jenem Pokalspieltag auch im Burgenland zu Gast war. Jener Admira, die dann in der ersten Cuprunde die Segel streichen musste, weil man gegen den Regionalligisten nicht gewinnen konnte. Jener Admira, deren zweite Mannschaft eigentlich der Gegner der Neusiedler wäre (und selbst diese konnten nur ein 2:2 Unentschieden erkämpfen). Jener Admira, die Innsbruck gerade in deren eigenem Stadion mit einem klaren 3:1 in die Schranken verwies. So betrachtet scheint ein lockerer Erfolg gegen den Neusiedler SC relativ fern. Mindestens so fern wie Neusiedl selbst, 536 lange Kilometer vom Tivoli entfernt.

Relativ schwer

Das mit der Augenhöhe, das ist also vielleicht doch nicht eine relativ freche Beleidigung, sondern eine wohlgemeinte Warnung. Denn schon in Runde eins gegen die Wiener Linien war es nicht gerade ein lockeres Auslaufen, das zum Sieg führte. Obwohl… Eigentlich war es gerade das lockere Auslaufen statt eines konzentrierten, vehementen Einsatzes, das beinahe zum Ausscheiden geführt hat. Die Wiener Linien haben, nebenbei, in der Regionalliga Ost drei Punkte weniger als die Neusiedler. Vielleicht wär das mal ein Spiel für’s Selbstbewusstsein, denn die Burgenländer haben nicht nur eine schlagkräftige Offensive mit 18 Toren in 8 Spielen, sondern auch eine relativ offene Defensive mit 15 Gegentreffern. Also fast so wie Innsbruck, die gleich 17 Treffer kassiert haben. Mhm. Wie man es dreht und wendet, es bleibt wohl ein Spiel auf Augenhöhe. Denn der Cup…

Bild: Von Flame99, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1680808

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Autor: Stefan Weis

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