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Slowpoke Rodriguez

Hartberg ist ein Phänomen. Eines, das die Liga, das die Zuschauer, das auch die Gegner nicht fassen können. Eigentlich gehören sie ja gar nicht hierher, und eigentlich müsste man ja doch gegen die Steirer leicht Punkte holen können. Aber irgendwie klappt das nicht so wie vorgesehen. Fast wie bei Lento Rodriguez, dem Tranquilino, dem Langsamen…

Belächelt

Slowpoke ist nicht ganz so bekannt, sein Cousin dafür umso mehr. Speedy heißt der, Speedy Gonzales. Die schnellste Maus von Mexiko. Und mit seiner Schnelligkeit kann er jede brenzlige Situation meistern. Slowpoke ist das Gegenteil (https://www.youtube.com/watch?v=wYi_hq2p1Ac). Er ist die langsamste Maus südlich von Tijuana und wird von Katzen, die ihn nicht kennen, gerne als leichte Beute angesehen, belächelt für seine unbeholfene Art, sich in Zeitlupe zu bewegen. Hartberg ist zwar nicht so langsam, wird aber ähnlich belächelt – denn wer soll denn schon die große Gefahr ausströmen? Sanogo, der vor der Saison ein einziges Bundesliga-Tor vorweisen konnte und aus der Burkiner Liga kam? Tadic, dessen Zeiten bei der Wiener Austria schon lange zurückliegen und der zwischendurch sogar vereinslos Zeittotschlagen musste? Rajko Rep, einst mit Eler die Hoffnung der Klagenfurter Austria auf Wiedergeburt, beim LASK aber aussortiert, als sich dieser Richtung Europa orientierte? Oder gar einer der jungen Steirer wie Florian Flecker, dem Ex-Kapfenberger, der einmal bei Wolfsberg die große Luft schnuppern durfte und dort sogar ein Tor in der höchsten Spielklasse vorweisen konnte? Nein, Hartberg kann kein Gegner sein. Dachten sich schon die Gegner in der zweiten Liga der Saison 2017/18. Hartberg ist am Zenit, darf wieder einmal in das Profitum schnuppern, aber wenn man die mal richtig angeht und unter Druck setzt, werden die zerbröseln wie ein weihnachtliches Mürbteig-Kekserl. Überhaupt mit diesem Neu-Trainer Ilzer, der bei seinem ersten Engagement lieber Co-Trainer in Wolfsberg als Cheftrainer in Hartberg war und den Verein mitten in einer erfolgreichen Saison auf Platz eins der Regionalliga verließ. Dass es die Steirer dann zerlegte und man den möglichen Aufstieg aus der Hand gab, das wird man ihm wohl auch nicht verziehen haben… Dieses belächelte Hartberg zeigte gleich in den ersten drei Runden der zweiten Liga mit Siegen gegen Wattens, Floridsdorf und Wacker, was man von Slowpoke zu halten habe. Die Viererkette, die vorgelagerte Doppelsechs, zwei Stürmer – der Gegner konnte sich Sommer wie Winter warm anziehen, Hartberg überstand jede vermeintliche Krise, belegte mit Rang zwei einen fixen Aufstiegsplatz und verwies die selbsternannten Aufstiegsaspiranten Wiener Neustadt, Ried und Wattens auf die Ränge.

Unterschätzt

Slowpoke zu fangen war nie das Problem. Ihn zu besiegen schon. Da kann es am Anfang schon recht brenzlig ausschauen – aber Rodriguez‘ Colt rauchte schon, lange bevor der Gegner auch nur gezogen hatte. Das gilt auch für Hartberg, am grünen Tisch wie am grünen Feld. Den Kampf um die Lizenz gewonnen, starteten sie etwas verhalten in die Liga. Sehr verhalten sogar. Nach sechs Runden fünf Niederlagen, nach neun Runden nur einen Punkt von der roten Laterne entfernt – die beiden Aufsteiger Hartberg und Wacker Innsbruck waren Ende September Kopf an Kopf am Tabellenende. Aber Tranquilino braucht nur etwas Zeit, um in die Gänge zu kommen, und der neue Trainingsleiter Markus Schopp musste sein Team erst finden. Wenn man glaubt, die Schwarz-Grünen hätten einen Lauf hingelegt mit ihren fünf Spielen ohne Niederlage, dann hat man die Steirer unterschätzt. So, wie es auch die Gegner gemacht haben. Mit dem 4:3 gegen Ilzer, Verzeihung, den WAC schoss man sich aus der Krise, von Runde 10-13 traf man ebenso oft ins gegnerische Tor wie in den ersten 9 Runden zusammen. Rapid stand auf der Abschussliste, Sturm, die Admira, Mattersburg. Fünf Siege in Folge, in den letzten sieben Ligapartien nur eine Niederlage (gegen den Meister), nebenbei noch Wattens und Innsbruck mit gesamt sieben Treffern aus dem Cup katapultiert – Slowpoke schießt schnell. Vom zweitschlechtesten Team in den Runden 1-9 wurde man zum zweitbesten in den Runden 10-16. Das Momentum liegt auf Seiten der Hartberger, die in dieser Phase nur einen Punkt weniger als die Salzburger erspielten und mit unglaublichen 17 Treffern die torgefährlichste Mannschaft stellen. Wacker setzte weniger auf Offensive und machte lieber die Scheunen dicht – vier Tore, also dreizehn weniger in sieben Spielen, das spricht eine deutliche Sprache. Wie auch ein anderes Verhältnis: 13 zu 5. Das ist nämlich das Verhältnis der schlechtesten Defensive im Oktober/November gegen die beste, dichteste Defensive. Zumindest der Statistik nach, denn wer Innsbrucks Verteidigung schwimmen sah, kann kaum glauben, dass kein anderes Team weniger Gegentreffer erhalten hat. Zeitgleich blieb man um acht Tore besser als der Rückhalt der Hartberger, die hinten durchaus anfällig sind, anfälliger als jede andere Mannschaft der Liga.

Überrascht

Als Slowpoke, Entschuldigung, Hartberg in der sechsten Runde verlor und Wacker Innsbruck wichtige Punkte bescherte, trafen zwei Teams aufeinander, die voller Elan in die Bundesliga gestartet waren. Wacker hatte bereits 13 Großchancen vorgefunden, Ligahöchstwert. Dabei aber nur drei Punkte bei sieben erzielten Toren erreicht. Der TSV hatte bereits 151 Schüsse abgegeben, ebenfalls Ligahöchstwert. Herausgeschaut haben ebenfalls nur drei Punkte, in drei Spielen war man ohne Treffer geblieben. Die beiden Mannschaften zogen aber völlig unterschiedliche Rückschlüsse aus ihren Problemen. Bei Innsbruck wurde hinten dicht gemacht, um endlich zu punkten, Hartberg setzte auf die breit gefächerte Offensivkraft aus Sturm und Mittelfeld und einen Rajko Rep, der als zweitbester Torvorbereiter der Liga bereits an 10 Treffern beteiligt war. Und überraschte damit die Gegner reihenweise, etwa den LASK in der letzten Runde, der trotz dreier Tore nur ein Remis erreichte. Slowpoke Rodriguez hätte seine Freude an den steirischen Verwandten, die, wie er, vielleicht in den Beinen nicht die Schnellsten der Liga sind, aber dafür nicht langsam in „la cabeza“. Und auf den Kopf kommt es an, auch im Fußball.

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Autor: Stefan Weis

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