Diamantenfieber (4)
Nur unter Druck entstehen Diamanten. Das stimmt – für Diamanten. Gemeint wird dabei aber anderes: geh, hab dich nicht so, ein bisschen Stress fördert ja nur die Leistungsfähigkeit, schärft die Sinne, führt zum Erfolg. So gesehen ist der FC Wacker Innsbruck in der perfekten Ausgangslage für einen großen Sieg gegen den TSV Hartberg, denn der Druck ist enorm. Noch vier Spiele.
Under Pressure
„It’s the terror of knowing what the world is about“. Ja, David Bowie hat recht. Der Wahrheit ins Auge sehen zu müssen kann ein unmenschlicher Drucke sein. Die Fakten zu kennen, sie zu analysieren und für die Zukunft abzuwägen, das kann zu einem Druck führen, der nicht Diamanten schafft, sondern zermalmt. Da braucht es dann nicht sportliche Ideen, technische Kniffe, taktische Varianten und athletische Übungen, da braucht es das feine psychologische Handwerkszeug eines Begleiters, der den lähmenden Druck in positive Energie zur Problembewältigung umwandeln kann. Denn wie schaut es aus, wenn man als Milchmädchen auf die Aufgabe vom Samstag schaut? Zunächst das Ziel – man will am Ende der Saison zumindest auf dem vorletzten Rang liegen. Theoretisch kann jeder außer Rapid noch die rote Laterne erben, mit ein bisschen Augenmaß und Blick auf die letzten Spiele ist wohl sogar die Admira schon aus dem Schneider und der kommende Gegner Hartberg einzig verbliebener Gegner um den Abstieg. Denn auch wenn die Südstädter in vermeintlicher Griffweite liegen und sich punktemäßig noch nicht absetzen konnten, sie spielten ein anderes Jahr 2019 als die beiden hinter ihnen platzierten Vereine. Seit dem Auftaktmatsch im Februar gegen Wacker wurden fünf Siege erarbeitet, drei Remis erkämpft, nur zwei Niederlagen mussten hingenommen werden – gegen Rapid und Mattersburg, die zwei „Großen“ des Abstiegsplayoffs. Die schwarz-grüne Bilanz ist das dunkle Spiegelbild dazu. Noch im Herbst 2018 spielte man mäßig, aber doch ein bisschen erfolgreich in der Liga mit. Die Partien seit Oktober endeten zwar häufig, nämlich fünfmal, in Remis, die Gegner dabei lauteten aber Salzburg, Austria, Sturm, auch Hartberg. Zwei Siege, darunter sogar ein Erfolg gegen den LASK, brachten in neun Partien 11 Punkte. Dennoch war Druck da. Nicht nur der nicht nachvollziehbare Druck, doch ins obere Playoff zu rutschen und sich damit für die restliche Saison nicht mehr mit Druck beschäftigen zu müssen oder der, der durch den temporären Erfolg bei den Kristallbuben im Unterland aufgebaut und genüsslich medial transportiert wurde.
Diamonds are forever?
Es war vor allem der Druck, fehlende Sponsorengelder ausgleichen und die Finanzen regeln zu müssen, um nicht mit der Lizenzierung Probleme zu erhalten – einmal mehr wurden gute und damit für das System, für den Erfolg, auch für das Mannschaftsgefüge wichtige Spieler verkauft, um so für etwas Liquidität zu sorgen. Daraus wurde der Druck, mit einer ohnehin recht offenen Abwehr und einem damit auf verstärkte Defensive ausgerichtetem Spiel – die 11 Punkte wurden mit nur sechs Toren oder umgerechnet 0,67 Treffern pro Partie erreicht – ein Ziel zu erreichen, das durch Spielerabgänge erschwert wurde und nur durch Kompensation über den eigenen, im Abstiegskampf unerfahrenen Nachwuchs ausgeglichen werden soll. Die Rohdiamanten sollten es retten – denn unter Druck enstehen Diamanten, heißt es. Es sind nebenbei 60.000 bar und Temperaturen von über 1500 Grad nötig, um aus Graphit einen künstlichen Diamanten herzustellen. Ein Bar entspricht dem Luftdruck auf der Erdoberfläche, ein Autoreifen ist mit 3,3 bar gefüllt (2,3 bar über Außendruck), im lebensfeindlichen, nach der Königin Maria Anna von Österreich benannten Marianengraben, dem tiefsten Punkt im Meer, sind es 1070 bar. Der Druck bei Wacker – deutlich höher. Entstehen hier also Diamanten oder werden sie doch im ruhigen Umfeld der Zweier-Mannschaft produziert? Heißt es nicht auch: „In der Ruhe liegt die Kraft“? Nur mit einer ruhigen Hand kann man einem Rohdiamanten den Schliff verpassen, der ihn dann unvergleichlich funkeln lässt. Lange wurden der Einsatz solcher Rohdiamanten gefordert. Junge Tiroler statt teuren, abgehalfterten Legionären – wie oft hat man das gehört. Sie wurden gefordert, aber nicht gefördert. Bis Wacker den Schritt abseits der Akademie wagte und nun mit einer Mannschaft in der zweiten Liga und einer dritten Kampfmannschaft junge Talente an das Profitum heranführt. Dass diese aber dem Verein die Haut retten müssen, dass Spieler wie Taferner nun statt ruhiger Entwicklung den Abstiegskampf zu Gunsten von Innsbruck drehen sollen, ist ein Druck, der selbst Diamanten gefährlich werden kann.
Shine brigth like a diamond
Gegen Hartberg muss nun ein Sieg her. Auch wenn man betont, es wären auch dann noch drei Spiele. Ja, aber der Erfolg ist derzeit ein seltener Gast bei Wacker, noch seltener am Tivoli. In den Spielen 2019, 10 an der Zahl, wurden 8 Niederlagen erspielt, die beiden Erfolge wurden auswärts gefeiert. Gut nur, dass auch die Bilanz in der Steiermark nicht zu Jubelstürmen hinreißt: sechs Niederlagen, drei Remis (alle Drei vor der Punkteteilung) und nur ein Sieg. Dieser aber gegen Rapid in der vergangenen Runde. Ein Schauspiel, das seinesgleichen sucht: vier Tore für Hartberg aus einem Eigentor, einem Halb-Eigentor und drei verwandelten Elfmetern. Geht sich nicht aus, sagen Sie. In diesem Spiel war alles möglich, auch, dass Tadic den Elfer wiederholen musste und ihn ein zweites Mal verwandelte. Dass auch zwei der Rapid-Tore Eigentore waren, krönt das Spiel mit einer besonderen Statistik. Die Wiener brachten einen Ball aufs Tor, die Hartberger drei, das Spiel endete drei zu vier. Und einmal mehr zeigte sich die Wichtigkeit von Ballbesitz. Die Steirer wiesen gegen Rapid 33,2% auf und gingen als Sieger vom Platz, die Innsbrucker in Altach 40,5% mit vergleichbarem Erfolg. Nicht der Dauerdruck brachte die Punkte. Die Teams, die unter Druck standen, wurden von diesem gelähmt, trotz hoher Passanzahl in den eigenen Reihen. Spannend wird, wie sich dieses Spielsystem am Samstag äußert. Denn die letzten drei Runden bringen eine etwas leichtere Auslosung für Hartberg: beide müssen gegen Admira und Mattersburg ran, Innsbruck hat aber noch Rapid vor der Brust, Hartberg die Altacher. Für Wacker ist der Druck also groß, nach dieser Runde vor dem Kontrahenten zu liegen. Ob mit funkelnden Diamanten oder einem dreckigen Sieg ist dabei völlig egal.