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Wir holen schwarz-grüne Fans vor den Vorhang (6.1)

Im ersten Teil hat Mike, der „Vorsänger“ der Nordtribüne über seinen Weg in die Fanszene und seine Höhepunkte mit seinem Herzensverein gesprochen. Nun erfahren wir von der „Stimme der Kurve“, der in seinem Beruf im Gesundheitssystem gerade in den letzten Wochen und Monaten besonders gefordert wurde, mehr über die Ultrakultur und wie es ist als Ultrà des FC Wacker Innsbruck durchs Leben zu gehen.

Lifestyle

 

Wie ist der „Lifestyle“ der Szene, sprich was macht man am und außerhalb der Spieltage – und was ist daran anders als bei den „Normalos“?

„Für mich gibt es, gerade in Innsbruck, keine so klare Abtrennung zwischen Ultras und „Normalos“. Jeder, der nach all den herben Rückschlägen des letzten Jahrzehntes, immer noch treu hinter Wacker Innsbruck steht und zu den meisten Heim- sowie Auswärtsspielen mitfährt, sowie Tag für Tag mit dem schwarzgrünen Shirt zur Arbeit geht, ist wahrscheinlich nicht ganz „normal“.
Wenn man da in andere Szenen oder zum Beispiel nach Deutschland schaut, kann man schon eine gewisse Abgrenzung erkennen. Dort kann man, stark vereinfacht ausgedrückt, vor allem zwischen jenen Stadiongängern, die sich vor dem Spiel noch im Vereinsshop das neueste Merch kaufen und dann auf ihren überteuerten Sitzplätzen platznehmen, und jenen, die sich aktiv selber organisieren und dem Verein sowie dessen Politik kritisch gegenüber stehen, unterscheiden.
Eine organisierte Szene bietet für den Einzelnen einfach auch gewisse Vorteile. Wenn man Themen gemeinsam angeht, nach außen hin mit einer Stimme spricht und diese vertritt, kann man sich oftmals mehr Gehör verschaffen als ein Einzelner. Im Gegenzug wird man dann auch oft in einen Topf geworfen und Geschehnisse, die der Polizei oder Presse sauer aufstoßen, werden nur zu gerne ebenjener „Szene“ zugerechnet.“

„Den angesprochenen „Lifestyle“ der Szene kann man auch nicht verallgemeinern. Also es gibt wahrscheinlich nichts, das auf alle aus der Szene zutrifft, aber nicht auf Leute die eben dort eben nicht organisiert sind. Am ehesten würde ich sagen, dass sich die Leute aus unserer Szene vermehrt auch im privaten Umfeld untereinander austauschen und auch abseits von Wackerspielen viel Zeit miteinander verbringen. In meinem Fall ist es so, dass ich neben meiner Freundin und meinem Beruf hauptsächlich mit Leuten unterwegs bin, mit denen ich dann am Wochenende wieder gemeinsam zum Fußball gehe. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich mit anderen nichts zu tun haben will, sondern hat sich einfach so entwickelt. Wie weiter oben schon angesprochen sind meine engsten Freunde halt auch Leute, mit denen ich seit Kindheitstagen unterwegs bin und mit denen ich zusammen den Sprung in die organisierte Fanszene gemacht habe. Natürlich ist es auch so, dass Fußball und das Leben als Ultrà einen sehr großen Teil in meinem Leben einnimmt und man sich quasi rund um die Uhr damit beschäftigt. Das hat zur Folge, dass man sich auch abseits der Spiele viele Gedanken darübermacht und sich mit Leuten, die genauso denken, austauscht. Entscheidend ist für mich, dass ich diese Einstellung immer verfolge. Ich bin also nicht nur am Spieltag Fan von Wacker Innsbruck und wenn ich nach dem Spiel meinen Schal ablege bin ich das nicht mehr. Vielmehr ist es so, dass mich diese Lebenseinstellung permanent begleitet und auch massiv Einfluss auf mein privates Umfeld nimmt.
Ich weiß aber, dass eben jener Charakterzug auch auf Leute zutrifft, die seit Jahren auf der Tivoli Nord stehen und sich nicht als Ultrà bezeichnen würden. Von daher liegt es mir auch fern, die Art des Fan-seins zu bewerten und schon gar nicht die Ultras als die „besseren“ Fans zu sehen.“

Die Fankultur

So habe ich Mike auch gefragt, was denn Ultras von sogenannten normalen Fans unterscheidet:

„Um diese Frage zu beantworten, muss man etwas tiefer in die Materie eintauchen und sich zuerst einmal die Frage stellen, was Ultras sind und diese ausmacht.
Für mich gibt es da keine klar definierte Aussage von der man ableiten kann: Das ist ein Ultrà und das nicht“. Dafür ist die Subkultur der Ultras zu sehr mit Leben gefüllt und auch im Wandel. Genau das ist aber dann auch wieder das interessante daran. Für mich ist Ultrà etwas sehr lebendiges, eine Art des Fan-Seins, das über den normalen Stadionbesuch hinausgeht. Ultrà ist mehr als nur bei dem einem Spiel am Wochenende seine Fahnen zu schwenken und seine Lieder zu singen, vielmehr ist es eine Lebenseinstellung, die einen durchgehend begleitet und einen großen Teil deiner Zeit bestimmt. Sei es, wenn man sich mit anderen Leuten der Gruppe trifft um Choreographien zu planen, diese umzusetzen oder auf aktuelle Geschehnisse Stellung zu beziehen oder nach dem Spiel mehr über den abgelieferten Support zu sprechen als über die Aufstellung des Trainers.“

„Das Phänomen der Ultras stammt prinzipiell aus Italien. Dort haben sich in den 1950er bis 1960er Jahre erstmals Anhänger zu Gruppen zusammengeschlossen um ihren Verein mit organisiertem Gesängen zu unterstützen. Daher stammt auch ein Merkmal der Ultras, das wenn man so will, vom normalen Fan unterscheidet. Ultras bringen Trommeln, Fahnen, Megaphone und andere Stilmittel mit in die Stadien um dort den Support zu organisieren. Genannte Stilmittel kamen in dieser Zeit bei den häufig vorkommenden Demonstrationen in Italien zum Einsatz und wurden von dort in die Stadien mitgebracht. Diese Anfänge dürften in besagten Jahren vor allem in Turin und Genua gewesen sein. Diese Städte waren auch in Zeiten der italienischen Arbeiterbewegung besondere „Hotspots“.
Von dort aus breitete sich das Phänomen der Ultras über ganz Italien aus, bis es Anfang der 1990er Jahre auch über den Brenner nach Innsbruck kam. Eng verbunden mit den häufigen Italienaufenthalten der ersten Generation der Verrückten Köpfe, versuchten diese das italienische Flair auch in Innsbruck aufleben zu lassen. Bis heute ist der Style der Innsbrucker Kurve stark vom italienischen Einfluss geprägt, natürlich auch beeinflusst durch die Kontakte zu Atalanta Bergamo, die auch in jener Zeit schon eine beeindruckende Kurve, unter der Führung der Brigate Atalanta, hatten.
Anfang der 2000er Jahre schwappte die Ultrabewegung auf den gesamten deutschsprachigen Raum über. Mittlerweile gibt es auch in Deutschland kaum mehr einen Verein, egal ob erste oder dritte Liga, deren Fankurve nicht von Ultras angeführt wird. Somit kann man festhalten, dass die Subkultur der Ultras, die einst als Jugendkultur galt, dieser Jugend längst entwachsen ist. Vor allem in Italien sieht man heute noch Leute, fern des vierzigsten Lebensjahres, die leidenschaftlich in der Kurve ihren Verein supporten.“

Ultras per sempre

„Ultras haben ein gewisses Werteverständnis, das sich auch zum Großteil von jenem der anderen Stadionbesucher unterscheidet. So sehen sich Ultras heute oft als Hüter der Fankultur, achten auf Tradition und stehen der Kommerzialisierung im Fußball sehr kritisch gegenüber. Ultras handeln autonom, ohne Abhängigkeit vom Verein. Nur so ist es auch möglich, Geschehnisse im Verein kritisch zu hinterfragen und wenn nötig auch anzuprangern.
Durch die Organisation in Gruppen ist es möglich, benötigte finanzielle Mittel bereitzustellen. Diese kommen durch den Verkauf von Fanartikeln, Mitgliedsbeiträgen und Spenden zusammen. Alle Stilmittel, sei es eine Choreographie über die ganze Tribüne oder die Trommeln und Megaphone, werden von den Ultras selbst bezahlt und organisiert. Darum kämpfen Ultras, egal ob in Italien, Deutschland oder Österreich, auch massiv für die Rechte und Freiheiten der Fans. Nur so ist es möglich, den Tifo (Anmerkung: Methoden und Mittel der Fanunterstützung, Choreos, Gesänge, Fahnen etc.) bestmöglich zu organisieren und sich zu kritischen Themen frei zu äußern. Fankurven sollten idealerweise ein Raum sein, in denen man seiner Leidenschaft nachgehen kann. Fernab von ständiger Überwachung durch den Ordnerdienst oder behördlichen Vorschriften.“

„Gerade in Innsbruck war es, wie die meisten wissen, ein langer Weg zurück zu den jetzt verankerten schwarz-grünen Farben, dem Vereinswappen sowie dem Namen. Hier bei uns waren es Leute aus der Szene, die sich nach dem FC Tirol-Crash 2002 die Wort-Bildmarke FC Wacker Innsbruck sichern ließen und jahrelang für eine Rückkehr zum traditionellen Namen kämpften. Als ich zur Fanszene kam, spielte zum Beispiel die SPG Wattens/Wacker oder später der FC Wacker Tirol am Tivoli, von der Tivoli Nord wurde aber von Anfang an immer der FC Wacker Innsbruck supportet. Diese Rückkehr zum traditionellen Namen sowie eine nicht verrückbare Festlegung dessen in den Statuten, geht zu einem großen Teil auf die Kappe der organisierten Fanszene.“

„Wie man merkt ist gerade die Kultur der Ultras eine sehr umfassende und vielschichtige. Ich habe versucht einen kleinen Einblick darauf zu geben, in Wirklichkeit gehört aber noch sehr viel mehr dazu. Eine organisierte und kritische Fanszene ist für mich jedenfalls das Herz und sie Seele eines jeden Vereins. Sie steht für die Bewahrung der Werte, Kontinuität und Offenheit und ist ein stolzer Vertreter unserer Farben und unseres Namens.
Wer mehr darüber erfahren möchte, kann sich jederzeit gerne rund um ein Spiel mit uns unterhalten.“

Zum Schluss möchte ich mich noch „recht sakrisch“ bei Mike, „der Stimme der Kurve“ für seinen Einsatz (auch für den seiner Freunde und der Tivoli Nord) für unseren FC Wacker Innsbruck bedanken. Wir sind stolz eine solche Szene zu haben. Was wäre das Tivoli ohne sie!?

Willst auch du etwas über dich und deine Beziehung zum FCW erzählen? Dann schreib an redaktion@tivoli12.at

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Autor: Rudolf Tilg

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