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Hüte dich vor dem Dorf!

Stadtstress. Die Gleichzeitigkeit von sozialer Dichte und sozialer Isolation, die zu sozialem Stress führt und das alltägliche Leben im urbanen Raum zur Gefahr werden lässt, Forschungsgebiet von Wissenschaftern der seelischen Gesundheit und Thema der Neurourbanistik, die sich mit der Behebung dieser Probleme beschäftigt. Manchem Dorfbewohner entkommt gerade ein müdes Lächeln. Wer schon einmal als Zuagroaster, also als jemand, der drei Kirchtürme weiter seine Kindheit verbrachte, in ein Seitental gezogen ist, wer schon einmal persönliche Differenzen mit dem Besitzer eines Fendt Farmer mit Jaucheanhänger ausgefochten hat, wer schon einmal im einzigen Gasthaus des Tals abends nach drei Hausgebrannten seine eigene Ansicht der Weltlage präsentiert hat, wer schon einmal eine Kulturinitiative beim Stadl auf der Wiese aufziehen wollte, der hat jegliche Angst verloren. Stadt? Pha, Kindergeburtstag. Vor dem Dorf muss man sich fürchten!

 

Kleines Dorf, große Namen

Das weiß man auch in Innsbruck. Man mag zwar mal im Bernabéu gewonnen, Celtic gedemütigt, Turin ausgeschaltet und Florenz besiegt haben. Man spielte aber auch in Neufeld an der Leitha, Kundl, Voitsberg, Parndorf und Mannsdorf. Im Cup. Und das nicht gerade erfolgreich. Und dort, wo Mannsdorf liegt, ist ein besonders fußballverrückter Menschenschlag zu Hause. Hätten Sie ohne das runde Leder gewusst, wo Untersiebenbrunn liegt, Hundsheim, Weikendorf und Weiden an der March? Tja, mag sein, dass Sie von den letzten beiden noch gar nicht gehört haben, dabei kickt ein Fußballclub aus diesen Dörfern gerade groß auf: der SV Stripfing/Weiden. Das nächste Fußballprojekt mit Intention, die zweite Liga zu rocken. Dabei spielte man vor nicht allzu langer Zeit noch in der Schutzliga. Die Saison 2009/10 beendete man als drittletzter in der 2. Klasse, der achten und somit niedrigsten Spielstufe im Marchfeld. Hobbykick am Wochenende, für junge Buben und alte Herren, die ein bisschen Stadion-Feeling erleben wollen. Bis dann Liebhaber des runden Leders mit einem Ziel, ein bisschen Geld und viel Durchsetzungsvermögen kamen. 2012 wurde der Meistertitel gefeiert, im Jahr darauf erneut, im Jahr darauf erneut. Nein, ich stottere nicht, 2015 spielte man unter Trainer Kurt Garger schon in der 5. Leistungsstufe, 2016 in der 1. Landesliga, 2019 folgte der Aufstieg in die Regionalliga. Mit Spielern wie Mario Fürthaler, Edin Salkic und Marco Miesenböck. Von denen keiner mehr in Stripfing spielt, wie auch nicht mehr Ingo Klemen oder Roman Kienast, die auch ihre Schuhe für den 300-Einwohner-Verein schnürten. Bevor jetzt jemand fest durchatmet – „Change“ ist das wichtigste Stichwort für den Verein. Und der Grund, warum es vor der Saison zu noch mehr Veränderungen kam.

Alphatiere

Denn zwei Alphatiere in einem Verein ist eines zu viel. Genau diese Konstellation gab es aber bei Stripfing bis vor Kurzem. Johannes Riedmüller, Transportunternehmer, Sponsor und fußballverrückter Mäzen der Marchfelder auf der einen, und Erich Kirisits, ehemaliger Stripfing-Spieler, Xerox-Generalmanager, Präsidentenkandidat bei Rapid und umtriebig bei beinahe jedem Verein in Ostösterreich, der in einer Krise steckt und einen Ausweg sucht, auf der anderen. Das kann nicht funktionieren – und funktionierte auch nicht. Stripfing, vor der Saison auf Einkaufstour, stand auf Rang 5 der Regionalliga, als Covid einen abrupten Stopp forderte. Und plötzlich gab es keine Kommunikation mehr am Dorf. Kirisits‘ Telefon klingelte, Riedmüller fand über zwei Monate hinweg keinen Gesprächspartner mehr. Und wohl nicht nur er. Trainer Hannes Friesenbichler, der siebte im fünf Jahren, erfuhr, dass mit ihm nicht mehr geplant werde. Sportdirektor Ernst Baumeister übersiedelte in die Südstadt, um dort gleich wieder abgesägt zu werden. Und bei Stripfing überlegte Vizepräsident Kirisits, ob Peter Pacult, Andi Ogris (dessen Bruder Ernst einst für Stripfing kickte) oder doch Johann Kleer am vakanten Posten Platz nehmen sollte. Ein Rückfall in alte Muster, die sich auch im Kader zeigen. Riedmüllers Vision, sich in der Regionalliga zu stabilisieren und junge Spieler aufzubauen, wurde nicht einmal ignoriert. Und so trifft Schwarz-Grün am Samstag auf Thomas Weber und Kürsat Güclü, auf Daniel Toth und Benjamin Sulimani, auf einen Kader mit 28 Spielern und einen Trainer, der seine Bilanz gegen Wacker aufbessern will. Denn Kirisits entschied sich für Kleer, der als Lustenau-Spieler in sieben Spielen keinen Sieg (aber auch nur eine Niederlage) erlebte, als Trainer mit dem FAC und den Vorarlbergern je einmal drei Punkte von Wacker entführte.

Angst vor der Stadt?

Stripfing hat also vielleicht nur 300 Einwohner, Streit im Umfeld und einen Sponsor weniger, denn Johannes Riedmüller verließ den Verein und stellte Zahlungen ein. Stripfing hat aber eine Mannschaft, die als Meisterschaftsfavorit in die Ostliga geht, die sich nicht verstecken braucht. Vier Siege, nur eine Niederlage gegen den Sportclub, und Lustenau aus dem Pokal katapultierte. Angst vor der Stadt? Von wegen: hüte dich vor dem Dorf!

Photo by <a href=“/photographer/kovik-41069″>Petr Kovar</a> from <a href=“https://freeimages.com/“>FreeImages</a>

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Autor: Stefan Weis

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