Skip to main content

Zwei Seiten Wien

Wenn man von Wien spricht, kommen unweigerlich Bilder vor das innere Auge. Derzeit sehr traurige. Und auch unerwartete, Hoffnung gebende, von sich wildfremden, in der Not ohne Fragen helfenden Menschen. Den Wiener, den glaubt der Tiroler eigentlich als missmutigen Dauergrantler zu kennen, das goldene Wienerherz findet seine vermeintliche Vollendung im Gespräch mit einem jungen, rucksackbeladenen Dorfbewohner, der es wagt, den Lauf der Großstadt durch sein Stehen auf der linken Seite der Rolltreppe zu stoppen. Zwei Seiten Wien. Wien ist Bewegung, bis es sich staut. Der Romantiker würde sagen: Donauwalzer am Opernball. Alles dicht, und trotzdem ein beruhigendes Gewoge der tausenden Menschen. Der Realist denkt: Verteilerkreis, Südosttangente. Kampf um das Fortkommen, selbst im Stillstand. Das derzeit wohl beste Bild für die Nachbarn des Verteilerkreises, die Veilchen.

 

Stop and Go am Verteilerkreis

Zwei Seiten Wien, das zeigt die Wiener Austria gerade in Vollendung. Eigentlich, ja eigentlich wären sie ja der Rekordmeister. Der gesamtösterreichischen Liga, der Bundesliga. Als Innsbrucks Erfolg in den 70ern schwand, begann jener der Violetten. Eigentlich hätte man auch aktuell auf erfolgreiche Jahre hingebaut, im wahrsten Sinne des Wortes. Stadion, Nachwuchszentren, die Austria schuf sich mit Beton einen Unterbau, der den Erfolg der Spieler beschleunigen sollte. Dabei kam aber nicht nur der finanzielle Überkonkurrent Salzburg in den Weg, sondern auch die Austria und ihre Netzwerke sich selbst. Da wären die Trainerwechsel, häufiger als ein Spurwechsel auf der Tangente. Die Verhaberung der immer selben, selbsternannten Legenden, die ihre Finger im Spiel haben wollen. Und der unbändige Wunsch nach schnellem Erfolg. Da kann dann schon die andere Seite aufblitzen: eine Kampfmannschaft, die, wie im vergangenen Jahr, im Abstiegsplayoff kickt. Und ein Nachwuchs, der gute Vorzeichen hat – und doch nicht vom Fleck kommt. Die jungen Violetten durchleben derzeit eine grausame Lernphase. Jung, das trifft jedenfalls zu. Zwischen 16 und 21 Jahren alt, 19,8 Jahre im Schnitt, drittjüngste Mannschaft der Liga nach Liefering und Rapid. Unter den 20 jüngsten Startelfs der Liga finden sich auch nur jene dieser drei Farmteams. Mit einem Unterschied. Die einen, mit teuren Rohdiamanten und eingekauften Legionären ausgerüstet, lachen trotz der ersten Saisonniederlage von den höchsten Höhen der Tabelle, deren anderes Ende die Violetten und Grünen im Gleichschritt zieren. Zumindest dabei zeigt Wien ein einziges Gesicht.

Ziegelschupfen für die City

Zwei Seiten Wien, das zeigt auch die Geschichte der Stadt. Wien weiß, was es an seiner Vergangenheit hat, und verbreitet dieses Bild auch in den schönsten Farben in alle Welt. Da das Museumsquartier, Kunst- und Naturhistorisches Museum. Dort Burgtheater und Staatsoper. Das Parlament für die Wiener mit dem Rathausmann und das für den Rest von Österreich mit der Athene. Die Palais und Hotels, glänzende Fassaden. Hinter der Fassade, da stecken aber fast ausschließlich schnöde Ziegel. Gestochen, gesandelt, gebrannt und geschupft von den Ziegelbehm, den Sandlern, den Maltaweibern, den ungebildeten, billigen, ausgebeuteten Arbeitern der Vorstadt, die nie ein Teil von Wien sein konnten. Und jetzt das typische Wien sind. Wien den Wienern, unsere Stadt? Das geht nur mit all den Generationen von Außenseitern und Zugezogenen, die eine Stadt am Leben halten. Die Tschuschn von damals sind die Wiener von heute. Kein Fußball, kein Wunderteam ohne Cisar, Urbanek, Bican, Kaburek oder Sindelar. Letzterer wurde zum Inbegriff der Favoritner, zum Urvioletten, ein Kind der Ziegelbehm. Und was wäre die Austria ohne ihren Schneckerl? Prohaska, tschechisch für den „Spazierengeher“, spazierte im violetten Leiberl durch die Reihen der Gegner, ob im Prater oder am Tivoli, im San Siro oder Stadio Olimpico. Seine Nachfahren heißen Prokop und El Shelwi, Helac und Vucic, Radulovic und Huskovic, Keles und Perdomo. Und sind alles Wiener, wie auch die Ziegelböhm damals. 29 Spieler hatten die Young Violets in dieser Ligasaison schon im Einsatz, nur drei davon sind Legionäre. Und kein einziger Violetter durfte bislang einen Sieg bejubeln, das einzige Team der Liga ohne Dreier. Als erfahrener Schwarz-Grüner weiß man, was jetzt auf einen zukommt, und die ersten Spiele dieser Runde zeigten es vollendet: wenn Amstetten, bislang sieglos, die ungeschlagenen Lieferinger auswärts biegen kann, dann können auch die Jungveilchen wiedererblühen im Sand und Staub ihrer Ziegelgruben.

Verlieren mit Stil

Bislang kannte man vom Nachwuchs des FAK nur Blut, Schweiß und Tränen. Ohne Erfolg. Drei Remis gegen die Juniors, Kapfenberg und Lustenau, sonst nur Niederlagen. Aber was für Niederlagen. Zweimal mit zwei Toren, ansonsten nur eines Differenz. Wer nach acht Spielen ohne Sieg und fünf Niederlagen ein negatives Torverhältnis von nur -7 hat, wer immerhin 8 Tore erzielt hat (und damit nur eines weniger als Innsbruck mit seinen 12 Punkten), der kann auch einmal gefährlich werden. Und wer Wacker kennt, weiß, dass dies früher geschehen kann als gewünscht. Die Kinder der neuen Ziegelböhmen werden sich finden und ihre andere Seite zeigen.

Photo by <a href=“/photographer/schnubbel-48180″>Tim Schnurpfeil</a> from <a href=“https://freeimages.com/“>FreeImages</a>

Avatar photo

Autor: Stefan Weis

Dieser Text stellt geistiges Eigentum des tivoli12 magazins dar und ist somit urheberrechtlich geschützt. Um den Text, oder Teile davon nutzen zu können, setzen Sie sich bitte mit dem tivoli12 magazin in Verbindung.
Skip to content