Nur nicht andächtig werden…
Sonntag, 10 Uhr 30. Der Verein eine Religion. Das Stadion eine Kathedrale. Mit eigener kleiner Kapelle (siehe Bild). Und dann auch noch einen Fußballgott als Trainer. Das kann schon Respekt einflößen. Und Respekt ist auch angesagt, wenn die Ministranten von Rapid Wien in ihr St. Hanappi einladen. Aber auch nicht mehr, denn über die bessere Mannschaft auf dem Papier sollte eigentlich kein Zweifel herrschen. Also: nur nicht andächtig werden…
Von Ewigkeit zu Ewigkeit
Lang ist’s her. Zu lange. 6952 Tage. 228 ⅓ Monate. Über 19 Jahre. Seit April 2002 wurde gegen Rapid Wien nicht mehr auswärts gewonnen. Und dann war das nicht einmal im ehrenwerten West-Stadion, sondern im Praterrund. Der letzte Sieg im Hanappi? Das ist dann wirklich lang her. Nicht in diesem Jahrhundert. Nicht einmal in diesem Jahrtausend. 7904 Tage. 259 ⅔ Monate. Über 21 ½ Jahre. Wenn Sie zusammen mit Ihrem Partner das 4:2 etwas zu exzessiv gefeiert haben, darf ihr Kind wählen, Auto fahren, Verträge abschließen. Und wenn es ein Frühchen war, in den Vereinigten Staaten einen Sex on the Beach bestellen, den Drink, der heißt wie der Beginn seiner Existenz, damals im September 1999 im Klang des sanften Plätscherns auf der Donauinsel. Als Innsbruck das letzte Mal in Hütteldorf siegreich vom Platz ging, war George W. Bush noch Gouverneur von Texas, Boris Jelzin torkelte als Präsident durch Moskau, Viktor Klima war Kanzler in Österreich und Gerhard Schröder in Deutschland, Italien hatte mit Scalfaro, Mancino und Ciampi drei Präsidenten in einem Jahr, Milosevic verfügte über Jugoslawien, Elizabeth II war Herrscherin über das Commonwealth und Benjamin Netanjahu Ministerpräsident von Israel. Na gut, manche Dinge ändern sich eben doch nicht so schnell. Etwa, dass die Innsbrucker in dieser Saison auch gegen den GAK und Austria Lustenau kickten. Oder gegen Schwarz-Weiße aus Linz, Ballesterer aus Salzburg, Wiener Buben in Violett und eben jene in Grün-Weiß. Mit dem Unterschied, dass man derzeit nur gegen die Amateure der vier letztgenannten Clubs antreten darf – und selbst die oft genug einen Stolperstein darstellen.
In Demut und Reue
Die jungen Hütteldorfer etwa. Zwei Spiele gab es bisher gegen die Jungspunde. Im ersten, 2004, wurden dem Neo-Bundesligist Wacker in Runde eins des ÖFB-Pokals gleich die Grenzen aufgezeigt. Von einer Mannschaft, deren heute noch aktive Spieler in Obergänserndorf, Siegendorf, Sollenau, bei Austria XIII, der Vienna und den OÖ Juniors kicken, während von den damaligen Schwarz-Grünen alle außer Markus Seelaus und Marcel Schreter bereits die Fußballschuhe an den Nagel gehängt haben. 2:1 für die jungen Wiener lautete das Endergebnis. Jenes in dieser Saison drehte das Ergebnis um, das Spiel konnte nach frühem Rückstand noch gedreht werden. Offenbarung war es aber keine. Ein Eigentor, ein Spielausschluss, 47% Ballbesitz, 6:10 Schüsse, ebenbürtig in den Fouls. Lediglich bei Schüssen direkt auf das Gehäuse (4:2) und Eckbällen (7:2) stieg man in der Statistik besser aus. Gegen ein Team, das zu diesem Zeitpunkt mit sieben Niederlagen in zehn Partien am Tabellenende lag. Bei solchen Ergebnissen heißt es, demütig bleiben, denn auch wenn Innsbruck etwas besser in die Spur gefunden hat – Rapid hat das auch. Der Tabellenplatz lässt es vielleicht nicht vermuten, aber die Grün-Weißen konnten in diesem Jahr 2021 bereits Klagenfurt besiegen, Liefering biegen, Lafnitz das Bein stellen und dem GAK ein Remis abtrotzen. Von den Spitzenteams der Liga gingen einzig die Stahlstädter in der Frühjahrssaison mit drei Punkten vom Platz, einem Triple samt einem Assist des Liga-Kanoniers sei Dank.
Im Namen des…
Es wird also wohl kein Frühschoppen in aller Leichtigkeit eines Sonntag-Morgens. Eher eine lange Messe mit vielem Niederknien und wieder Aufstehen. Und hoffentlich ohne Wieder-Auferstehen des Tabellennachzüglers. Bedächtigkeit ist bei diesem Gegner sicherlich geboten, andächtig darf man nicht bleiben. Denn dann können selbst die jungen Ministranten der grün-weißen Religion zu kleinen Kreuzrittern mutieren.