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Die Sticker

Einst war Vorarlberg ein Textilland. Baumwollspinnereien, Stickereien, Wäscheproduktion. Kaum ein Kind, das nicht mit Mäser ausgerüstet auf die Piste trottete, kaum ein Erwachsener, der sich nicht an Huber Tricot erfreute. Von der Schweiz, vom nahen St. Gallen ins Ländle expandiert, war die Textilindustrie der zentrale Arbeitgeber am Rhein. So sehr, dass die Arbeitskräfte sogar anderswo gesucht werden mussten, um die Aufträge zu erfüllen. Zunächst im Süden und Osten Österreichs, dann im befreundeten Ausland. Anfang der 1970er Jahre stammte beinahe jeder dritte Beschäftigte in der Vorarlberger Textilindustrie nicht aus Österreich. Dann kam die Krise. Herrburger, Rhomberg, Ganahl, alle geschlossen. Was blieb, waren die geholten Arbeitskräfte, die in Vorarlberg ihre Heimat gefunden haben. Was blieb, waren spezialisierte Firmen, die heute noch ihre Hochqualitätsprodukte in alle Welt verkaufen. 174 Tonnen Stickereien im Wert von rund 23 Millionen Euro gingen in 80 Länder weltweit, 57% davon nach Afrika. Was blieb, war der Spitzname für die Lustenauer, für jene, deren Hauptindustrie das Textil war – und ist. 65% aller Vorarlberger Stickereiunternehmen sind in Lustenau gemeldet, rund 400 Mitarbeiter finden dort ihr Auslangen. Von Fußball haben wir bis jetzt noch nicht gesprochen. Und doch ein bisschen.

 

Ein Spiegel der Geschichte

Wo sich um 1900 Industrie befand, breitete sich der Fuball besonders gerne aus. In Lustenau war nicht nur das Textil, auch der Sport grenzüberschreitend, auch hier hatten Schweizer ihre Finger im Spiel. Emil Brüschweiler, Kicker beim FC Romanshorn, wurde beruflich in den Reichshof versetzt, ins Stickereigeschäft Eduard Alge und Co. Er brachte nicht nur Know How am Stoff, sondern auch am Leder mit. Aus dem Turnverein entstand der FC, der FC stand Pate bei der Gründung des FC Dornbirn. Und aus dem konkurrierenden Turnerbund wurde die Austria geboren. Die Schweiz, die Textilindustrie – Gründungsväter des Fußballs in Lustenau. Der Kader der Austria spiegelt die Geschichte der Region wieder. Die Rheintaler Arbeiter wie Grabherr, Gmeiner, Bösch. Die schon lange heimischen Buggler wie Dragan Marceta und Muhammed-Cham Saracevic. Die Schweizer wie Haris Tabakovic und Ostösterreicher wie Matthias Maak. Und die Verbindungen in alle Welt, für die Fußballer aktuell vor allem Frankreich und Brasilien. Die Erfahrung mit Südamerikanern ist in Lustenau eine gute, die mit den Leihgaben zu Clermont Foot muss erst gedeihen.

Neue, alte Heimat

Wie auch die Idee, nun, nach 30 Jahren Planung, das Reichshofstadion endlich doch umzubauen. Denn wie die Textilindustrie in den 90ern ist auch die Heimat der Austria langsam in die Jahre gekommen. So sehr, dass sie nicht mehr den Bestimmungen der höchsten österreichischen Spielklasse entspricht. Von Löchern im Boden des Auswärtssektors, den auf der Laufbahn stehenden Tribünenprovisorien ganz zu schweigen. Erneuerung ist notwendig, um nicht wieder in die Krise zu stürzen. Die fehlende Infrastruktur ließ im vergangenen Frühjahr die Erstligalizenz umfallen, ließen 230.000 eingeplante Euros aus dem Budget verschwinden, ließen die Vorarlberger im vergangenen April ordentlich zittern. Denn während man mit dem neuen Partner aus Frankreich sportlich zu reüssieren sucht, soll gleichzeitig um 18 Millionen ein Stadionneubau erfolgen. Von den 8,7 Millionen, die noch vor vier Jahren für eine Adaptierung im Raum standen, ist nichts mehr zu hören. Verein, Gemeinde und Land gemeinsam wollen eine Finanzierung auf die Beine stellen, im September die Baueingabe vollziehen.

Nachrücker

Sportlich ist Lustenau, seit Jahren geheimer Mitfavorit um den Titel und jährlich wieder enttäuschend, überraschend gut in die Saison gestartet. Hauptgrund dafür: Haris Tabakovic. In nur drei Pflichtspielen durfte er siebenmal jubeln, in der Liga gleich über einen Doppelpack und ein Quadrupel. Dass es auch ohne Tabakovic geht, zeigte Lustenau gegen Liefering, Urgestein Pius Grabher und Wallace sicherten den 2:1-Erfolg. Besonders Wallace stach in den letzten beiden Spielen hervor: als Assist-Geber, als Torschütze, und mit seiner roten Karte wegen Tätlichkeit. Im kleinen Westderby gegen Innsbruck müssen die Vorarlberger nicht nur auf den Brasilianer, sondern auch auf Tabakovic (Knie) und Maak (Aduktoren) verzichten. Egal, es rückt immer jemand nach. Vielleicht trägt sich ja auch Michael Cheukoua selbst in die Torschützenliste ein – der Rechtsaußen aus Kenia bewies seine Gefährlichkeit schon als fünffacher Assistgeber für Tabakovic. Leichtes Spiel wird es sicher nicht im Ländle. Die Niederlage der Lustenauer gegen Floridsdorf zeigte aber, dass der Tabellenführer schlagbar ist.

Bild von katetsib auf Pixabay

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Autor: Stefan Weis

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