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Beton

„Sie haben mit einer Sechserkette gespielt, zwei Busse vor ihrem Tor geparkt“, so wurde einst von Liverpool die Taktik von Jose Mourinho gescholten. Die Zeit, als Defensivleistung bewundernd nachgeahmt wurde, war wohl vorbei, man wollte Spielwitz und Offensivdrang sehen. Dabei waren es gerade die Verteidigungsleistungen, die so berühmt im Fußball geworden sind. Beton anrühren, das könnte man vom nächsten Gegner der Innsbrucker erwarten – trägt der SV Oberperfuss doch den Baustoff sponsernd in seinem Namen.

 

Ur-Riegel

Der Schweizer Riegel revolutionierte in den 1930ern den Fußball. Wobei, Schweizer… Wer hat’s erfunden? Karl Rappan, der Wiener, der bei Donau, Wacker, Austria und Rapid kickte, bevor es ihn zu den Eidgenossen verschlug. Bei Servette, den Grashoppers und der Nati perfektionierte er sein System, zog im Vergleich zum 2-3-5 die Halbstürmer ins Mittelfeld, die Außenläufer zurück als Außenverteidiger, die beiden ursprünglichen Defensivkräfte ließ er hintereinander auflaufen – und erfand damit quasi den Libero, den freien Mann hinter der Abwehr. Die sich, wie ein Riegel, auch von links nach rechts verschieben konnte. Das war in etwa zu der Zeit, als im Gasthof Neuwirt ein paar sportbegeisterte Oberperfer den SV gründeten. Mit dem Schweizer Riegel hatten sie aber nicht so viel am Hut, kommt auch nicht so gut auf der Piste, es gab ja erst die Sektion Schi. Bis der Ballsport dazukommen sollte, vergangen noch einige Jahrzehnte. Zunächst wurde auf diversen Wiesen wie am Birkeben mitten im Wald in der sogenannten „wilden Liga“ gespielt, bevor in den wilden 68ern die Professionalität Einzug hielt und man nach Gastspielen in Kematen und Völs auch 1972 zuhause den ersten Fußballplatz sein Eigen nennen durfte. Der Begeisterung im Oberland tat dies keinen Abbruch, gleich im ersten Spieljahr wurde der Meistertitel in der 2. Klasse gefeiert. Nach einer Rückkehr in die untersten Gefilde folgte 1978 der Aufstieg in die Gebietsliga West, 1983 in die Landesliga. Das alles wurde begleitet von einer bemerkenswerten Jugendarbeit. Die Junioren des SV Oberperfuss krönten sich 1981 zum Tiroler Meister und scheiterten erst in der Ausscheidung um den österreichischen Meister an den großen Blau-Weißen, der VOEST. Aus dieser Nachwuchsarbeit sollte auch ein anderer Spieler hervorgehen.

Tür-Riegel

Die 60er brachten das defensive Wunderwerk des Catenaccio hervor. Typisch italienisch, werden sie sagen, heißt Catenaccio doch Türriegel. Und trotzdem war es wieder ein Fremdstaatler, der den Schweizer Riegel modernisiert hat. Diesmal der Argentinier Helenio Herrera, allerdings mit Inter Mailand. Die 60er brachten auch eine andere defensive Sensation, zumindest für Oberperfuss. Am 2. Feber 1969 wurde den Lorenz‘ nämlich ein Bub geboren. Der kleine Helmut sollte schon bald bei den Blau-Weißen dem Ball nachlaufen. Und noch besser würde er den ballführenden Gegnern eben jenes heißbegehrte Spielgerät abnehmen. Kein Wunder, dass man sich bald auch außerhalb von Oberperfuss nach dem Defensivtalent umsah. 1989 wurde er zur WSG Wattens geholt, um vielleicht für den FCS aufgebaut zu werden. Helmut sollte dann aber doch kein Blau-Weiß tragen, der Kristallkonzern zog sich nach wenigen Jahren wieder aus der Profiliga zurück und übergab die Lizenz an den FC Wacker Innsbruck zurück. Und mit ihr auch den Spieler Lorenz, der 35 Bundesligaspiele in Schwarz-Grün absolvierte, zwei Europacup-Partien und sechs Cupauftritte. Am Ende standen 90 Finalminuten, eine gelbe Karte und als Krönung der ÖFB-Pokal. Das Defensivtalent zog weiter, zunächst gemeinsam mit Manfred Linzmaier zum LASK, dann zur Austria nach Lustenau und zur WSG, bevor er 2000 die Oberperfer als Spielertrainer übernahm. 129 Bundesligapartien mit drei Toren, 108 Zweitligaspiele mit 26 Toren, 10 Cup-Auftritte mit 3 Toren, 7 Mal Europa – die Bilanz kann sich sehen lassen.

Kinder-Riegel

Bis 2007 trainierte Lorenz die Oberperfer, bevor ihn der Ruf nach Höherem ereilte. Der SC Schwaz wollte ihn haben, und dann war ganz Tirol begierig. Also zumindest die Akademie, an welcher er bis 2018 für den vermeintlich besten Nachwuchs entlang des Inns verantwortlich war. So manch ein Kind, das Lorenz auf der Akademie kennenlernen durfte, ging seinen Weg weiter bis in den Profibereich, einige durften auch im glänzenden schwarz-grün am Tivoli auflaufen. Doch die Akademie ist Geschichte, Oberperfuss Alltag. Und dort ist man hin- und hergerissen von dieser Saison. In der Liga ist es eher mau, mit 31 Punkten ist man zwar nicht abstiegsgefährdet, von den Aufstiegsrängen aber doch ordentlich entfernt. Und vor allem sind 52 Gegentore in 24 Spielen und ein negatives Torverhältnis dann doch nicht gerade umwerfend. Wäre da nicht der Cup, wäre da nicht das Halbfinale vom Donnerstag, wäre da nicht der sensationelle Einzug in das Pokalendspiel. In Mayrhofen wartet am 28. Mai der SC Imst. 90 Minuten trennen Helmut Lorenz vom nächsten Cuperfolg. Der Pokal ist vielleicht nicht ganz so glänzend, nicht ganz so groß wie jener 30 Jahre zuvor, aber für Oberperfuss wäre es die Sensation schlechthin. Davor wartet aber noch der FC Wacker – und vielleicht ist dieses Spiel zwischen Halb- und Finale gerade der Vorteil, den die Innsbrucker am Weg zu Rang fünf benötigen…

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Autor: Stefan Weis

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