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Passionsspiele

Gekampelt, Haare schön gegeelt, glattrasiert. Fesch schaun sie aus, die Thierseer. Jetzt zumindest, und die allermeisten von ihnen. Ist aber nicht normal. Nicht, dass sie sonst ein ungepflegter Haufen wären oder das Woodstock der Alpen voller blumenliebender Sonnenkinder. Aber so alle sechs Jahre verzweifeln Friseursalon Oblasser und Coiffeur Fankhauser an den zotteligen, barschtatn Gesellen, die sich im ganzen Dorf wiederfinden. Nicht jedoch heute – ein Spiel gegen den FC Wacker Innsbruck ist ein Feiertag. Tirol von A bis Z, heute T wie: Thiersee.

Spielfreudig

Nicht Thierbach in der Wildschönau, Thierberg in Alpach und Kufstein, Thierburg in Fitzens, sondern Thiersee. Wie das Tal, durchflossen von der Thierseer Ache, die vom Pendling runterkommt und dem Ursprung am – festhalten – Ursprungpass hat. Dort, wo der Thiersee liegt, also „der See in der Tierse“, der auch Schröckensee genannt wurde, weil er dem Bauern zu Schröck gehörte. Das wäre eigentlich schon alles, was man wissen muss. Naja, außer, dass es im Wälzer aus 1970 einen eigenen kleinen Absatz zur Volkskultur im Dorf gibt. Kein Wunder, gab es ja die Volksbühne Alpenland und die in Landl, die Passionsspiele seit 1927, Musikkapellen in Landl, Vorder- und Hinterhiersee. Und ganz schön viele Schützenvereine. Kurz gesagt, es wird gerne geschossen, der Marsch geblasen und ganz schon intensiv geschauspielert. Wieviel davon auch den Fußballverein betrifft, den es erst als Kickers und seit 1971, als offizielle Sektion des Sportvereins gibt, ist nicht so leicht zu sagen. Denn allzu oft kreuzten sich die Wege von Wacker nicht mit dem SVT. Mit der Kampfmannschaft ohnehin nicht. Aber 1981/82 spielten die schwarz-grünen Amateure gegen die Unterländer, naja, oder besser gesagt die Unterländer mit ihnen, wenn man einen Blick auf die Abschlusstabelle der 1. Klasse Mitte wirft. Innsbruck machte es sich nach 20 Spielen mit nur drei Punkten mit der tiefroten Laterne gemütlich, während Thiersee den Vizemeistertitel bejubeln durfte. Die Tabelle der Tiroler Liga 1997/98 ließe ähnliches vermuten, doch die wackeren Buben um Johann Trenkwalder straften im direkten Duell die Auflistung Lügen. Zwar lächelte der SVT vom 6. Rang, der FCW nur vom 14. und damit drittletzten, doch im Head-to-Head gingen Wackers Amateure einmal als Sieger, einmal mit einem Remis mit insgesamt vier von sechs Punkten recht glücklich vom Platz.

Treuherzig

Dass überhaupt Spieler der beiden Kontrahenten das gegnerische Trikot trugen, ist kaum zu finde. Ja, Mathias Perktold war ein paar Jahre nach seinem Wacker-Engagement mal in Thiersee zu finden, bei den aktuellen Spielern gibt es aber gar keine Überschneidungen. Mehr noch: so treu, wie die Apostel ihrem Herren folgten, so treu sind die Blau-Weißen ihren Farben. Da färbt wohl das Sexennium (Zeitraum von sechs Jahren) ab, die jahrhundertelange Darstellung der Passion Christi hinterlässt einfach spuren. Sicherlich, der ein oder andere bekam seine Zweifel, spielte bei Langkampfen, Kirchbichl, Wörgl oder in Ebbs vor, aber wie Petrus nicht länger als bis zum dritten Hahnenschrei, dann war man wieder auf Linie und trug mit Stolz das azzurrene Dress. Von den 23 Kickern im Kader waren nur 2 – ja, in Worten: zwei – laut Homepage nicht aus dem eigenen Nachwuchs. Marcel Oberndorfer wechselte allerdings schon mit 16 Jahren vom FC Kufstein an die Thierseer Ache, Thomas Wechselberger von Oberlangkampfen über Langkampfen mit 15. Die restlichen 21 stammen aus dem eigenen Nachwuchs, stehen für ihr Dorf und dürfen es im Cup vertreten. Und das machten sie bislang recht gut. Hochfilzen wurde dank einer starken Schlussviertelstunde mit 5:0, die Wildschönau dank Elfmeter ebenfalls in der Schlussviertelstunde im Penaltyschießen aus dem Bewerb geworfen. 

Schlagbar

Nur der Start in die Saison war etwas holprig für Thiersee. Bei der Auftaktniederlage im Ligaalltag gegen Absam half auch der Doppelpack von Daniel Kirchmair zum zwischenzeitlichen Ausgleich von 1:1 und Anschluss zum 2:3 nichts, man musste sich 5:2 geschlagen geben und nahm gleich sechs Karten wegen Unsportlichkeit und Kritik mit auf den Heimweg. Die nächste Passion kommt erst 2028 – vielleicht wollen die Thierseer bis dahin selbst ein wenig das Leiden der Welt auf sich nehmen und die andere Backe hinhalten…

Foto: Passionsspiele Thiersee

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Autor: Stefan Weis

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