Der Kaiser und der FC Wacker Innsbruck
Der Fußball schreibt mitunter die skurrilsten Geschichten. Die vielleicht Aberwitzigste davon handelt vom „Fußballkaiser“. Nein, nicht von Franz Beckenbauer, der deutschen Lichtgestalt des runden Leders. Sondern von einem Brasilianer, der sich selbst „Carlos Kaiser“ nannte. Um es vorwegzunehmen, hinter diesem klingenden Namen steckt eine schauspielerische Leistung, welche jeden Oscargewinner des Filmbusiness alt aussehen lässt. Carlos war Fußballprofi. Der Brasilianer hatte viele Talente. Aber Fußball gehörte da beim besten Willen nicht dazu.
Schwieriger Start ins Leben
Carlos Kaiser wurde 1963 in Porto Alegre geboren. Sein bürgerlicher Name lautet Carlos Henrique Raposo. Eine Woche nach seiner Geburt soll seine Mutter eine wildfremde Frau gebeten haben, kurz auf den kleinen Carlos aufzupassen. Die hat vergebens auf deren Rückkehr gewartet und empfand das als Wink des Schicksals. So wurde Carlos von ihr und ihrem Mann adoptiert. In Rio de Janeiro sorgten dann später seine Adoptiveltern dafür, dass Carlos in der Fußballschule von Botafogo FR unterkam. Mitunter die einzige Option, der Armut des damaligen Brasiliens zu entkommen. In einem Land voller Gewalt und Armenvierteln. Nach dem Tod seines Adoptivvaters hatte Carlos mit 13 Jahren nichts mehr, außer dem Fußball. Das Leben in Fußballcamps wurde zu seiner Familie. Sein Talent dazu war aber bescheiden und durchschnittlich. Doch Carlos hatte eine besondere Gabe. Er war sehr beliebt, hatte Überzeugungskraft und Eloquenz und schaffte es sich immer wieder wichtige und einflussreiche Leute zu Freunden zu machen, die ihm den Weg ebneten. Er hätte wohl einem Bauern für dessen Stier eine Melkmaschine angedreht. Eine Gabe, welche ihm in den 1980er-Jahren den Weg zum Fußballprofi ebnete. Ohne ausreichend Talent und mit dem Ball als seinem größten Feind.
Fußballstar ohne Ball
Carlos Kaiser schaffte es tatsächlich zum Profi. In Brasilien hat er wohl ähnliche Bekanntheitswerte wie Pelé, doch nicht wegen seiner Fähigkeiten am Ball. Zwar war der „Kaiser“ unter anderem bei allen vier großen Vereinen Rio de Janeiros (Flamengo, Fluminense, Vasco da Gama und Botafogo) als Spieler, doch tatsächlich gespielt hat er so gut wie nie. Nach seinen eigenen Angaben hat er es in seiner „Karriere“ zu vielleicht 30 Kurzeinsätzen gebracht. Doch wie kam er zu seinen Verträgen? In einer Zeit, in der es kein Internet, keine Videoplattformen und auch sonst keine umfangreiche Vernetzung gab, profitierte Carlos von seiner Persönlichkeit. Er hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Renato Gaucho, einem der besten brasilianischen Fußballern dieser Zeit und baute sich vor allem im Nachtleben ein großes Netzwerk an befreundeten Journalisten, Spielern und Vereinsfunktionären auf, die Carlos von seinen vermeintlichen Großtaten auf dem Fußballplatz überzeugte. Kaiser gaukelte den Lifestyle eines Profis vor und schaffte es damit einen Vertrag zu ergattern. Bei Trainings verletzte sich der vermeintliche Star gerne. Er ging dem Ball eher aus dem Weg, doch er wusste bei den Athletikeinheiten zu überzeugen. Sollte er allerdings tatsächlich spielen, war der Brasilianer um Ausreden nie verlegen und legte auch nicht selten ein falsches Attest vor. Er soll auch einen Mitspieler dafür bezahlt haben, ihn zu verletzen. Carlos hielt sich während seiner wenigen Einsätze stets an der Stelle auf, an der der Ball gerade nicht war. Mannschaftsintern war er aber äußerst beliebt. Er hatte gute Kontakte, organisierte Dies und Das für seine Mitspieler, sorgte für gute Stimmung, ausgelassene Parties und nahm so manche Verfehlung seiner Mitspieler auf seine Kappe.
Natürlich ging das selten lange gut und Carlos blieb meist nur wenige Monate bei einem Klub. Danach ging das Spiel beim nächsten Verein wieder von vorne los. Manche seiner Einlagen wurden legendär. So soll er vor einem Testspiel alle Bälle in die anwesenden Fans geschossen haben und wurde so noch vor dem ersten Spiel zum Publikumsliebling. Dem erzürnten Vereinsboss entging die Wirkung dieser seltsamen Aktion nicht. Aber die gesamten Bälle zu entfernen, hatte für Carlos ganz einen anderen Sinn als die PR für den Klub…
Bei Bangu AC verlangte sein Vereinsboss, dass er beim Stand von 0:2 seiner Mannschaft eingewechselt wird. Für den selbst ernannten Fußballstar war das ein echtes Schlamassel. Was also tun? Carlos ist gestürmt, aber nicht Richtung des gegnerischen Tores, sondern in Richtung der Gästefans und fing ein Handgemenge an. Noch vor seiner Einwechslung hat er für diese Aktion die Rote Karte gesehen. Kaiser verteidigte sich damit, die gegnerischen Fans hätten den Vereinspräsidenten beleidigt und einen Verbrecher genannt. Sein Lohn für diese Aktion war eine Vertragsverlängerung. So gäbe es noch eine ganze Menge Anekdoten, wie etwa einen gefälschten Spielerpass des korsischen Klubs AC Ajaccio, mit dem er eine „Auslandskarriere“ unter anderem in TV-Shows vortäuschte.
Doch was hat das alles mit dem FC Wacker Innsbruck zu tun? Nun, es gibt da Fotos, die Carlos Kaiser im Trikot des Tiroler Traditionsvereins zeigen. Ein Trikot aus dem Jahr 1984/85 – mit dem Schriftzug „FC Wacker Innsbruck“ auf der Brust. Alles Fake! Zunächst war auf dem original Dress das „Sparkassen“-Logo aufgedruckt, während die Aufschrift „FC Wacker Innsbruck“ nie zu sehen war. Damals hat der Traditionsverein übrigens „SSW Innsbruck“ geheißen und Carlos war natürlich nie Spieler der Schwarz-Grünen. Wie und wo diese Fotos entstanden bleibt das Geheimnis des Brasilianers.
Nachdem er seine Fußballkarriere mit 41 Jahren beendet hatte, wurde Carlos Kaiser zum Bodybuilding-Trainer für Frauen. Seine Lebensgefährtin wurde in diesem Sport brasilianische Vizemeisterin und nahm an der Weltmeisterschaft 2016 teil.
Wer mehr über Carlos Kaiser erfahren will, dem sei die Amazon Prime Dokumentation „Kaiser! The greatest Footballer never to play Football“ ans Herz gelegt.
Foto: Carlos Kaiser