Fastenbrechen
Jetzt war sie lang genug, die Fastenzeit. 375 Angelusläuten, 125 Laudes, 17 sonntägliche Kyries später wird es endlich wieder Zeit, das schwarz-grüne Credo in einem Pflichtspiel darzubieten, die Glorie des Tabellenführers zu erleben und den Glauben an das irgendwann wiederkommende Elysium des Aufstiegs, so fern er auch noch zu sein scheint, auszuleben. Am Weg dorthin sind aber noch einige Prüfungen zu überwinden. Heute: der FC Volders.
Glaube
Fehlenden Glauben kann man den Unterländern in ihrer langen Geschichte ja wahrlich nicht vorwerfen. Seit dem Treffen von Bürgermeister, Jagerwirt, Lukasbauer, Hauptschullehrer, Oberlehrer, Wintersportobmann und einigen mehr im Gasthof Bräu vor 62 Jahren hat sich einiges getan. Aus einem Feld wird ein Fußballplatz, aus dem schmidhoferschen Holzschupfen die Umkleide mit Holzzuber als Bad, das Platzerl wächst zur ansehnlichen Anlage, die Mannschaft ist schon im ersten Jahrzehnt in der Landesliga zu finden. Und im WM-Stadion 1974 in München, beim Finale, als Gerd Müller sich um die eigene Achse dreht und den Ball an Jongbloed vorbei ins Netz rollen lässt. Verein sein ist mehr als nur am Platz zu stehen, Gemeinschaft wird gelebt in Volders, und führt zu Zusammenhalt innerhalb der Truppe. Und letztlich zum langjährigen Erfolg eines Teams aus einem ehemaligen 2000-Einwohner-Dorf, dessen Bevölkerung sich seit Bestehen des Fußballvereins mehr als verdoppelt hat. Man brachte einen Spieler in die Bundesliga, ins Nationalteam. Den Verein hob man in die höchsten Tiroler Sphären, die Tiroler Liga wurde in den letzten Jahren zur angestammten Heimat der Volderer. Und man kratzte sogar am Tor zur Regionalliga. Und das alles, obwohl der kirchliche Segen so halb verloren gegangen ist.
Unglaube
Der hübschen, ja fast kitschigen Karlskirche mit den idyllischen alten Bäumen vor der Türe und dem angrenzenden Kloster fehlt seit vier Jahren das, was ein Kloster ausmacht: Mitbrüder. Der letzte hat bereits die Anlage verlassen, das Kloster wird nun ganz vom Trubel der PORG-Schüler eingehüllt, und über all das legt sich der Lärm der angrenzenden Inntalautobahn. Und der Lärm ist auch gut, denn so kann man kaum die Geschichte des unseligen Bauherrn Hippolyt Guarinoni hören, der in Hall als Arzt tätig war und nicht nur hübschen Rokoko, sondern auch dreckigen Antisemitismus in Tirol hinterließ. Nicht immer sorgt medizinisches Wissen für allgemeine Bildung, zu oft kommen Verschwörungstheorien dazu, bei aktuellen Gesundheitssprechern, bei vermeintlich wissenden Secretaries of Health von Supermächten und eben adeligen Landärzten, die träumen, dass jüdische Wanderhändler vor rund 200 Jahren ein Kind im naheliegenden Rinn ermordet hätten und daraus einen kaum auszurottenden Fluch entwickeln. So sehr man sich weniger Verkehr wünscht, so sehr man sich leisere LKWs herbeisehnt, wenn der Lärm dazu beiträgt, solch einen unsäglichen Schmarrn zu überdecken, hat die Autobahn neben dem hübschen Kirchl auch was Gutes.
Glaube an sich selbst
Aber wie sind wir eigentlich da drauf gekommen? Ah ja, Volders, kirchlicher Segen, Tor zur Regionalliga. Der Spieler, der aus dem kleinen Verein bis ins Nationalteam gestürmt ist, der vor genau 30 Jahren etwa für die Innsbrucker im UI-Cup gegen Leverkusen in der regulären Spielzeit getroffen und im Elfmeterschießen den letzten Strafstoß versenkt hat im legendären Fight gegen Völler, Sergio, Schuster und Co, eben jener Spieler hat mit seiner fast schon professionell anmutenden Trainertruppe aus den Volderern ein Team gemacht, das nicht zu unterschätzen ist. Aber auch nicht leicht einzuschätzen. Denn die Volderer lieben die Überraschung. 2018 aus der Landesliga als Meister aufgestiegen, ging es Jahr für Jahr in der Tabelle nach oben, bis 2022 der Einbruch kam. 1 Sieg in den letzten 8 Spielen in einer allgemein durchwachsenen Saison schwemmte sie mit achtbaren 32 Punkten auf die drittletzte Stelle der Liga. Aber das Leben geht weiter, und wie. Im kommenden Jahr steht Volders mit 55 Punkten auf Rang zwei der Liga, punktegleich mit dem Meister und damit qualifiziert für die neue Regionalliga Tirol. Und dort sollte es kaum anders gehen. Zweiter im Grunddurchgang, dritter im oberen Playoff, vier Runden durfte man als Tabellenführer von Höherem träumen.
Hoffnung
Ein Traum, an dem man sich derzeit festhalten muss. Denn der Umbau zu Saisonbeginn war nicht so leicht wegzustecken. Man hat zwar dem Tabellenführer aus Innsbruck im August einen heißen Fight geliefert, bei glühenden Temperaturen. Aber dennoch musste man am Ende mit einem fast zu hohen 0:3 vom Platz gehen. Die Saison wollte nicht so recht in Schwung kommen. Der Auftaktsieg in Kundl ließ die Reise auf Platz 2 losgehen, doch dann gabs bis in den Oktober nichts mehr zu jubeln, sogar das Tabellenende musste man erleben. Mittlerweile hat man sich wieder etwas gefangen und blickt aus dem Mittelfeld dem Auftaktspiel entgegen. Denn gegen Haiming im Cup gab es eine Absage wegen Platzsperre, der einzige Neuzugang konnte sich noch nicht im Pflichtspiel beweisen. Dass er es nun gegen seinen ehemaligen Dienstgeber darf, ist für Kristian Koini sicherlich keine einfache Angelegenheit. Fastenbrechen ist also angesagt, der Fußball rollt endlich wieder…
Foto: Wolfgang Retter, Schloss Bruck