„Da war so viel los“
Weiter geht’s, im Ländle. Müsste man nicht heim, es wäre ein netter Radausflug von Lustenau aus über Feld und Flur. Gut 20 Minuten durchs Ried, nur bei der Kreuzung Höchsterstraße aufpassen, und schon ist man drüben in Lauterach am Sportplatz. Eigentlich im Stadion, benannt nach dem besten Fußballer des 1946 gegründeten Vereins, dem besten Spieler Vorarlbergs jemals. Einem der weltbesten Vorstopper, Liberos, Verteidiger der Welt: Bruno Pezzey.
„Die kleine Stadt“
Ich hatte Glück, ich hab ihn noch spielen gesehen. Und das nicht irgendwo, sondern vor meiner Haustüre. Der Weg nach Innsbruck für ein Kind nicht machbar – dann kommen die Buben von der Sill über die Berge zu einem, in die kleine Stadt. 2800 Zuschauer im Dolomitenstadion, Rapid Lienz im ÖFB-Cup gegen die Millionentruppe in Blau-Weiß. Wer nicht Fanboy von Van Basten oder Maradonna, von Pfeifenberger oder Fjörtoft war, der freute sich über Gorosito und Müller. Ich mich über Pezzey. „Das kann man ja auch mal so sehen“. Keine Ahnung, warum das so war, von Fußball hatte ich keine Ahnung (und hab sie noch immer nicht). Aber wenn man Bruno im Fernsehen bewundern konnte, strahlte er eine unfassbare Ruhe aus. Ohne Hektik räumte er ab, kontrollierte den Gegner. Und wenn es sein musste, stand er auch mal vorne und netzte ein. Er war schon stark über 30 Jahre, als ich ihn spielen sah. Laut seinem Nationalteamkollegen Pepi Hickersberger zu alt für das Nationalteam. Durch acht Jahre deutsche Bundesliga und den harten Happel-Kurs verbraucht, keine Chance auf die Rolle des Kapitäns und Abwehrchefs in Italien. Bruno konnte da schon auf eine Karriere zurückblicken, die man nur staunend bewundern kann.
1955 in Lauterach geboren, das war noch nicht einmal ein Markt damals, knapp über 3000 Einwohner. Dort begann er zu kicken, angeleitet von seinem Papa, Tormann und Schiedsrichter. Und wenn Papa im Tor steht, ist es klar, dass der Bub – auch später noch – gerne sagte, Mittelstürmer sei die Lieblingsrolle gewesen. Es wurde nicht die Rolle seines Lebens, auch wenn sein Einstieg in die Nationalliga auf dem Papier beinahe so wirkte. Von Lauterach ging es als 18jähriger zum FC Vorarlberg, Rätia Bludenz war überraschend in die höchste Klasse aufgestiegen und startete mit Schwarz-Weiß Bregenz einen gemeinsamen Versuch. Dolfi Blutsch, der Ex-Innsbrucker, kickte dort und leitete das Training, Franz Wolny lief gemütlich aus. Und Bruno tauchte am 19.08.1973 erstmals auf Österreichs höchster Bühne auf. Gegen die Austria aus Salzburg. Die Vorarlberger gewannen 1:0, Torschütze: Bruno Pezzey. Im nächsten Spiel, gegen den GAK, drehte sein Tor die Partie zum 2:1. Man musste schon fürchten, er würde auch gegen Wacker netzen, doch in den ersten beiden Aufeinandertreffen der Saison gingen die Innsbrucker als Sieger vom Platz. Mehr noch, man hatte am Inn Gefallen gefunden am jungen Spieler aus dem Ländle und nahm ihn, den technischen Zeichner, unter Vertrag.
„Er wollte nach Deutschland“
Dabei lagen ihm noch andere Angebote vor, gut dotierte. Warum dennoch Innsbruck, verriet er vor der WM 1978: „Erstens wurde dort seriös gearbeitet, und zweitens konnte man dort als Stammspieler schnell ins Nationalteam kommen.“ Richtig gehört. Über Wacker hat er das gesagt. Über den Verein, mit dem er auch seinen ersten sportlichen Höhepunkt erlebte. Es war für ihn nicht Meistertitel und Cupsieg. Bevor er nach Argentinien reiste, war das schönste Spiel für ihn die Partie gegen Mönchengladbach, das 3:1 im Europacup. Für mich, da schoss er sein schönstes Tor noch vor meiner Geburt. Im ÖFB-Pokal-Semifinale 1976, nicht gegen, sondern für Rapid Lienz, ein Eigentor. Nur ein Treffer fehlte den Grün-Weißen damals, um im Finale des Pokals zu stehen, es wollte aber nicht reichen.
Der Udo-Lindenberg-Fan durfte sein „Meer der Träume“ weiter befahren. Er, der 1978 und 1982 alle WM-Partien spielte, hatte sich schon vor dem Spiel in Cordoba auf die Zettel der deutschen Vereine gespielt. Eintracht Frankfurt lotste den 23jährigen für die damals unfassbare (und umstrittene) Ablöse von 900.000 D-Mark an den Main. Mit ihm kämpfte man sich gerade noch in den UEFA-Cup. Eine Verletzung setzte Bruno für 13 Runden außer Gefecht, „Fäuste aus Stahl“ gegen den Leverkusener Jürgen Gelsdorf brachten ihn, den ansonsten zurückhaltenden, nach Videobeweis für 6 Spiele auf die Strafbank. Aber seine Arbeit die Eintracht auch ins Finale des UEFA-Cups. Nachdem man im Halbfinale gegen Bayern in München 0:2 verloren, Bruno einen Elfer verschuldet hatte und sein Tor wegen Abseits aberkannt wurde. An der Säbener Straße war man entspannt, rechnete nicht mit großen Problemen. Und auch nicht mit Pezzey. Ein Fehler. Nach 31 Minuten traf er zum ersten, in der 83. per Kopf zum zweiten Mal. „Einer muss den Job ja machen.“ Verlängerung, Sieg, Finale in zwei Spielen. Dort, im Finale, warteten wieder die, die ihn schon in Innsbruck aus dem Bewerb gekegelt hatten, die Borussen aus Gladbach. Doch diesmal nützte kein Winnie Schäfer, kein Ewald Lienen, kein Lothar Matthäus. Die Jungs von Jupp Heynckes unterlagen der Eintracht. Unbeschreiblicher Jubel – und mitten drin Bruno, der trocken fragte, was er denn bekäme, wenn er wie seine Kollegen das Werbeleibchen von Minolta anzöge. Und weil es nix gab, blieb der österreichische Sturschädel freundlich, aber in seinem verschwitzten Leibchen aus dem Endspiel am legendären Foto, mit dem europäischen Pokal in die Luft gestreckt, der einzige ohne Sponsor am Trikot.
„Die Welt ist prima“
Bruno wechselte, um siebenstellige Ablöse, zu Bremen, Bruno kam dann zurück nach Tirol. Als Uefa-Pokal-Sieger, als Deutscher Vizemeister (auf Grund der Tordifferenz), als Deutscher Pokalsieger. Als beliebtester Legionär der Bundesliga. Als Kicker der FIFA-Welauswahl, im selben Team wie Diego Maradona oder Zico. Er scorte als Spieler der UEFA-Auswahl gegen die Weltauswahl. Und wurde von Kollegen bewundert. Thomas Wolter, sein Freund bei Werder, sagte über ihn: „Wenn man sich einen Profi basteln müsste, wäre er die Vorlage.“ Die Welt ist prima, Bruno auch. Und Mirko Votava ergänzte: „Was ist ein gewonnener Zweikampf? Den Ball aus dem Stadion schießen? Bruno war ein intelligenter Spieler: Er hat Bälle abgelaufen, im Spiel gehalten und den Gegenangriff eingeleitet. Das ist ein gewonnener Zweikampf.“ In Innsbruck holte er noch zwei weitere Meisterschaften, auch einen Cupsieg, bevor er seine Schuhe an den Nagel hängte. Seinen Freunden aber weiterhin zur Seite stand. Ob für Robert Trenkwalder, den Trianer von Günther Mader, für den er in Alta Badia Stangen schleppte. Oder als prominentes Gesicht für Benefiz auf Rasen und Eis. Wie auch zu Silvester 1994. Als er sich kurz vor Ende eine Auszeit nahm, weil die Kraft schwand. „Ein Herz kann man nicht reparieren“, wusste schon Udo Lindenberg.
„Da war so viel los“
Es war ein viel zu kurzes Leben. Jetzt, nach all dem Trubel, jetzt, wo er so richtig Zeit gehabt hätte für seine Frau, seine zwei Mädels im Teenager-Alter, hatte er keine Zeit mehr.
Auch, wenn das jetzt schon 31 Jahre her ist, Bruno bleibt unvergessen. Das Stadion in Lauterach trägt zu Recht seinen Namen, die Auszeichnung für Fußballer in Österreich ebenso. Er ist eine der zwölf Säulen der Eintracht in Frankfurt. Und einer der besten Spieler, den Innsbruck in seinen Reihen hatte. Aufgewachsen in Lauterach.
Foto: Helmut Klapper, Vorarlberger Landesbibliothek, CC BY 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by/4.0, via Wikimedia Commons