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Sternstunden oder Trauerspiel

Sie hatten viel vor, die Hohenemser. Zum 100sten Geburtstag sollte es soweit sein, zum ersten Mal wollte man die Regionalliga gewinnen. Und damit in den professionellen Sportbereich eindringen, zumindest den semiprofessionellen. Um dort zu schauen, ob es denn weiter gehen könnte. Man hatte vor. Denn 2023 hätte es schon soweit sein müssen – ganz ist es sich nicht ausgegangen, sonst würde man am Nationalfeiertag nicht auf Wacker Innsbruck treffen, immer noch in der Regionalliga.

Tschutten statt Schach

Aber der Reihe nach. 1922, der erste Weltkrieg ist kaum vorüber, noch keine vier Jahre ist es her, dass man die Unabhängigkeit von Tirol als eigenes, selbständiges Land erklärt hat. Und es schmerzte noch, trotz über 80% Zustimmung bei über 80% Wahlbeteiligung zu Beitrittsverhandlungen mit der Schweiz von den dortigen freisinnigen, protestantischen und nicht-deutschsprachigen Eidgenossen abgewiesen worden zu sein. Da trafen sich der Seilergeselle Dietzinger mit seinem Freund Obwegeser im Gasthaus Habsburg, um einen Verein zu gründen. Noch vergeblich. Es brauchte schon klassische Hohenemser Namen, um ein Jahr später doch genug Sportfreunde im Gasthof Löwen zu versammeln und – wie so fast überall zu Beginn, ob Feuerwehr oder Ballsport – aus Turnern richtige Ballesterer zu machen. Klien hießen die, und Mathis, natürlich Amann und Vonach, Rüdisser und Jäger, Peter und Drexel, und noch ein paar andere. Kein FC, kein SV, ein Verein für Bewegungsspiele wurde gegründet. 1923 zeigte nun der Kalender, und bewegt wurde sich viel, in der Leichtathletik und im Schwimmen, dem Fechten und im Berg, ob Sommer oder Winter, mit Seil oder Bretteln. Aber dann doch am publikumswirksamsten am grünen Rasen und mit einem ledernen Kugerl. Tschutten halt. Gekickt wurde zunächst auf einer Wiese an der Schillerallee, gleich mal hinter der Villa Heimann-Rosenthal, dem heutigen jüdischen Museum. Und damit gleich hinter dem jüdischen Viertel, am Emsbach. Bis in die 1950er wurde da gekickt, auch wenn bislang tiefe Pfade durch das Feld gingen, weil man das Vieh dort durchtrieb. Nach dem Spiel gings regelmäßig rein in den Emsbach, frischmachen. Und dann rüber zur Engelburg, am Spitz von Christen- und Judengasse, also der heutigen Schweizer und Marktstraße, den Sieg begießen. Das Haus, das gehörte einst der mütterlichen Familie des Autors der Schachnovelle, Stefan Zweig. Brettauer hießen sie, und sie stammten aus dem jüdischen Viertel. Und viele Jahrzehnte später fand man in der Engelburg eine wunderbare, mördergroße Currywurst mit Pommes, die man kaum alleine verspeisen konnte. Ganz ohne Hinweis auf Zweig.

Die Welt von Gestern

Vom Platz an der Schillerallee ist nichts mehr zu sehen. Und wenn auch das Gebäude noch steht, das Gasthaus Engelburg ist ebenfalls Geschichte. Und auch der Löwe, das Gründungshaus. Verschwunden, wie auch für Jahrzehnte das Gedenken an die einst größte jüdische Gemeinde des historischen Tirol samt Vorarlberger Landen. So sehr war es ausgelöscht, dass am Feuerwehrhäuschen von Hohenems, das man in die ehemalige Synagoge gebaut hatte – wo einst die Thora stand, parkten nun die Einsatzfahrzeuge – eine Steintafel angebracht wurde, die verlautete: „Feuerwehr-Gerätehaus und Säuglingsfürsorge, erbaut 1954/55.“ Von wegen.  Vom jüdischen Tempel, 1771/72 vom Bregenzerwälder Barockbaumeister Peter Bein erbaut, kein Wort. Österreich musste erst lernen, mit seiner Geschichte umzugehen, in Innsbruck war das nicht anders. Vergessen hat man nebenbei auch, welche Farbe man denn eigentlich hat, hier in Hohenems. Blau-Gelb, werden sie sagen, da muss man ja nur aufs Wappen schauen. Richtig, jetzt. Aber erst, seit man die Farben der Stadt übernommen hat. Der jüngsten Stadt des Bundeslandes, nebenbei. Der Steinbock, der auch in Graubünden zu finden ist, der zeigt sich bei den Herren von Ems in eben jenen Tönen, die der VfB nun trägt. Aber eben erst seit der Stadterhebung 1983. Im Jubiläumsjahr 2023 trug man Grün – und erinnerte damit an die Gründungsfarben grün-weiß, die in manchen Unterlagen auch als Schwarz-Weiß angegeben werden. Das mit den Farben, das sieht man zwischen Schwefel und Unterklien, zwischen altem Rhein und Burg Altems nicht ganz so eng.

Der Kampf mit dem Dämon

Da wäre es den Emsern schon wichtiger gewesen, im Jubiläumsjahr das Ziel Meistertitel zu erreichen. Knapp war man dran, aber es wollte nicht sein. Zunächst scheiterte man an Schwarz-Weiß-Bregenz, gegen die man zweimal remisierte und deshalb 2023 vier Punkte hinter dem Meister landete. Im Jahr darauf war es dann die Salzburger Austria, die vier Punkte vor Hohenems stand. Der zweite Rang bedeutete aber so etwas wie das beste Ergebnis in der Geschichte des VfB. Ja, man hatte von 1968 bis 1972 schon zweitklassig gespielt, aber eben in der Regionalliga, also so nicht ganz wirklich und doch ein bisschen. Immerhin konnte man zum Abschluss der Jubiläumssaison 2023/24 den Vorarlberger Cupsieg feiern und sich Landesmeister nennen. Auch derzeit schaut es nicht so schlecht aus für die Hohenemser. 18 Punkte aus 12 Partien, gesichertes Mittelfeld. Und man kann die Großen so richtig nerven. Seekirchen musste zu Hause Punkte lassen, ebenso Imst, Kuchl konnte nur einen aus dem Ländle entführen – die großen Gegner liegen den Rheintalern.

Image by Bernfried Schnell from Pixabay


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Autor: Stefan Weis

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