Dr. Roman Horak im Interview
OR: Frauenfußball boomt, zumindest in Deutschland und Skandinavien. Wie sehen Sie die Rolle der Frau im Fußball früher und heute?
Horak: Hier muss man zwischen Frauenfußball und der Rolle der Frau als Zuschauerin unterscheiden. Österreich ist, wie wir alle wissen, einigermaßen hintennach. Deutschland und England sind aber Sonderfälle, denn Frauenfußball boomt praktisch überall dort, wo Männerfußball keine große Tradition hat. Beispiele dafür sind China oder Norwegen. Dort, wo der Männerfußball populär ist, ist es schwierig Damenfußball als Gegenmoment, als neues Spektakel zu etablieren. Es ist aber eine Entwicklung zu beobachten, dass Frauenfußball über kurz oder lang anerkannter wird. Deutschland geht ja mit gutem Beispiel voran. Bis vor 30, 40 Jahren war das nicht denkbar, da war ja Frauenfußball noch verboten.
Was Frauen als Zuschauer angeht, geht die Entwicklung Hand und Hand. Das Interesse am Spektakel Fußball wächst auch langsam bei Frauen. In einer Studie der 90er Jahre waren in den Ländern Spanien, Frankreich, England, Italien maximal 15 % der Sportplatzbesucher weiblich. Jetzt liegt der Schnitt höher, ohne dass ich exakte Zahlen nennen kann.
OR: Ist die Zukunft des Fußballs weiblich?
Horak: Das ist eine etwas euphemistische Hoffnung. Ich glaube nicht, dass das so schnell geht. Fußball könnte zwar weiblicher werden, da müssen wir aber schon weit in die Zukunft blicken, dass das Spektakel wirklich weiblich wird. Das Spiel ist so fix männlich kodiert als Zuschauersport und –spektakel, dass das lange dauern wird. Die Tendenz geht aber dahin, dass mehr Frauen als Spielerinnen und Zuschauerinnen auftauchen werden. Wie gesagt, es kann in diese Richtung gehen, ich bin aber eher skeptisch.
OR: Betrachten wird den Fußball im Spannungsfeld zwischen der viel zitierten „schönsten Nebensache der Welt“ und der „symbolischen Schlacht“, wie der Soziologe Dal Lago ihn nennt.
Horak: Alessandro dal Lago hat ja nicht unrecht. Fußball ist beides zugleich. Das hängt ja zusammen. Zunächst einmal ist es ein Spiel. Ein Spiel ist immer die Wirklichkeit „so als ob“, eine Verlängerung der Wirklichkeit, mit dem Wissen, dass es nicht Ernst, sondern eben ein Spiel ist. Insofern ist es klar auch eine symbolische Schlacht. Aber es ist vorerst ein Spiel mit ungewissem Ausgang, mit einer gewissen Anzahl an Teilnehmern und einem hohem Unterhaltungsfaktor. Der Schwächere hat im Fußball immer die Chance doch zu gewinnen. Das ist das Schöne am Fußball. Ein Spektakel ist Fußball allemal. Es ist ja nicht nur hingehen zuschauen und ein bisschen schweigen, sondern vor allem auch mitleiden, mithoffen und – bei einer Niederlage – dann auf nächste Woche hoffen, das kennt ja ihr in Innsbruck auch sehr gut.
OR: Fußball verbindet Menschen, Völker, Kontinente. Können Sie dem was abgewinnen?
Horak: Ja sicher, schon. Ein Spektakel verbindet immer, aber es trennt auch. Ich gebe ein konkretes Beispiel: Fast alle meine Arbeitskollegen in Europa sind auch Vereinsanhänger von Fulham, Liverpool, Schalke bis Marseille. Von jedem Verein dem man angehört kann man Geschichten erzählen. Und die kann man austauschen. Der Austausch ist etwas Verbindendes. Man kann ja ein „bisserl sticheln“, sich „häckeln“, das gehört auch dazu. Zugleich ist Fußball aber auch trennend, wenn man es nationalistisch auflädt. Egal wo man hinfährt, man kann ja immer und überall über Fußball sprechen. Über die Grenzen hinweg, gibt es gemeinsame Erfahrungen, Sachkundigkeit und Hochachtung vor bekannten Spielern
OR: Für viele bedeutet Fußball die Welt. Wo aber befinden sich die Kanten des runden Leders?
Horak: Fußball kann auch etwas Trennendes sein. Es gibt Rassismus im Fußball. Bei Rapid gab es immer wieder grausliche, antisemitische Sprüche gegen Austria Wien. Das sind die weniger erfreulichen Geschichten, die nicht so rund laufen im Fußball und mir keine Freude bereiten.
OR: Eine ihrer ersten Publikationen war eine Studie über Rapid- und Austria-Fans in den 80er Jahren? Wie stellte sich die Anhängerschaft in dieser Zeit dar?
Horak: Wir haben eine riesengroße Chance gehabt, die Fußballfans von 1983 bis 1990 über Jahre im Stadion zu begleiten. Das ist ja für einen Forscher ein Sonderfall. Wir hatten dieses Glück. Wir haben die Anhänger in einer Phase der Veränderung studiert. Zu Beginn unserer Studie fanden wir den klassischen Vereinsanhänger vor. Mit klassischer Fußball-Vater-Biografie. Die waren schon als Kinder im Stadion. Das waren sehr vereinskundige und vereinsgebundene Fans, die über die Geschichte des eigenen Vereins sehr gut bescheid wussten. Der fußballzentrierte Fan hat sich Mitte der 80er Jahre eher zum actionorientierten Fan gewandelt. Das führte zur völligen Auflösung der Fankultur Anfang der 90er Jahre in Wien.
OR: Wie sehen Sie die Entwicklung der österreichischen Fanszene in den letzten 25 Jahren?
Horak: Man kann von vier Stufen sprechen: der Vereinsanhänger wurde Mitte der 80er Jahre von den erlebnisorientierten Fans abgelöst, Auflösung der Fankultur in den späten 80ern hin zur Wiener Hooliganszene. Das muss man sich vorstellen, Rapidler und Austrianer traten gemeinsam zum Schlägern in den Bundesländern und im Ausland an. Dann kam die neue Formierung der Ultrà-Bewegung nach italienischem Muster mit aufwendigen Choreografien Anfang, Mitte der 90er. Bei Rapid sind die Ultras der dominierende Fanklub.
OR: Gibt es besonders positive oder negative Ausreißer?
Horak: Ich tu mich schwer mit Ultrà-Geschichten, weil sie so zentral gelenkt sind. Bei der Rapid gibt es diesen großen Typ der auf dem Podest steht mit Megafon. Er gibt vor was passiert. Früher gab es mehr Fanklubs zur gleichen Zeit. Es war früher differenzierter mit verschiedenen Fahnen. Jetzt ist alles einheitlich. Diese gemeinsamen Choreografien sind ja sehr schön, aber ich habe es besser gefunden, wenn es etwas durchmischter war. Das ist aber Geschmackssache. Mir ist das etwas zu totalitär.